: Hexenhüte für die Kunst
Noch 52 Tage und 18 Stunden bis zur Eröffnung: Der Ausbau des Nord- und Westflügels des Landesmuseums Sachsen-Anhalt in der Moritzburg von Halle durch das Büro Nieto Sobejano aus Madrid ist überaus gelungen
VON MICHAEL KASISKE
Ein neuzeitliches Dach bedeutet seit kurzem das Ende des Jahrhunderte währenden Schicksals der Moritzburg in Halle als Denkmalsfragment. Zwei ruinöse Flügel des Landesmuseums wurden aufwendig ausgebaut und mit eben jener eigenwilligen Aluminiumabdeckung versehen, die der Stiftung Moritzburg neuen Raum in ihren bisher nur teilweise nutzbaren vier Wänden gibt.
Der zeittypische Grundriss mit vier Flügeln um einen repräsentativen Innenhof und vier Wehrtürmen weist die 1503 eingeweihte Residenz der Erzbischöfe von Magdeburgen als ein „feste Schloss“ aus, „um die Stadt besser in Gehorsam, Unterwürfigkeit und Ruhe zu erhalten“. Diesem frommen Wunsch setzte freilich die Reformation schon 1541 ein Ende. Zerstört wurde die Moritzburg jedoch erst hundert Jahre später, als im dreißigjährigen Krieg der West- und Nordflügel mit der Maria-Magdalenen-Kapelle ausbrannten und eine der Bastionen gesprengt wurde.
Bis auf die wieder hergerichtete Kirche blieb der Bau eine Ruine – als Lager oder auch als Brauerei genutzt. Karl Friedrich Schinkel erwog 1829 einen Wiederaufbau, doch erst zunehmender Verfall führte zur Initiative der Stadt Halle, hier ein Städtisches Museum für Kunst und Kunstgewerbe einzurichten. Zwischen 1901 und 1913 wurde an der Südwand das sogenannte Talamt errichtet, das die Innenraumausstattung des früheren Gerichts der Halloren aufnahm, dazu kamen historisierende Wehrgänge, der Torturm am Ostflügel und die Südbastion.
Im folgenden Jahrzehnt trug man hier begeistert zeitgenössische, junge Kunst zusammen, wodurch eine weithin beachtete Sammlung expressionistischer Malerei entstand. 1936 wurde dieser Schatz von den Nationalsozialisten für die Ausstellung „Entartete Kunst“ beschlagnahmt und anschließend verhökert. Dem engagierten Magistrat von Halle gelang es vor der Teilung Deutschlands einige Stücke zurückzuerwerben. 1948 wieder eröffnet, wurde das dann Staatliche Galerie Moritzburg Halle genannte Museum durch den Ausbau von Gewölben vorerst ein letztes Mal erweitert.
Als wichtigstes Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt, das seit den 1980er-Jahren auch eine bedeutende Fotosammlung bewahrt, war seine Existenz nach dem Mauerfall nicht gefährdet. Im Gegenteil, die Übernahme durch das Land 1996 und die Aufnahme ins Blaubuch der Bundesregierung 2001 gaben die finanzielle Kraft zur Erweiterung, da die zwar pittoresken, doch recht beengten Räume den Ansprüchen längst nicht mehr genügten. Im Architektenwettbewerb 2003 war Radikalität mit Fingerspitzengefühl erwünscht, um den geforderten Ausbau in den Resten von West- und Nordflügel zu wagen. Das Büro Nieto Sobejano aus Madrid bewies beides – nicht zuletzt mit jener Abdeckung, die weitaus mehr bot als nur Schutz gegen die Witterung. Weitsichtig traf die Jury die richtige Wahl. Anders als bei uns, wo alter Baukunst mit Berührungsängsten und zeitgenössischer Architektur mit Misstrauen begegnet wird, baut man in Spanien auch in jüngster Zeit Altes modern auf, etwa im einst römischen Merida, wo Nieto Sobejano ein ansehnliches Kongressgebäude realisierten.
Ihr Konzept geht von einem Dach aus, das die heterogene Ruine durch sanft geneigte Flächen zusammenfasst, und aus dem sich gleich Hexenhüten vier Oberlichter emporstülpen. Ihre schiefwinkligen Formen spannen eine homogen wirkende Aluminiumhaut auf, die aus der Fußgängerperspektive nur als schmales Gesimsband sichtbar ist.
Zwischen dem auch innen unverputzten Mauerwerk liegen zwei große Ausstellungssäle. Durch die über zwei Geschosse gehende Höhe entfalten sie eine beeindruckende Wirkung, die durch seitliche Galerien und zwei wie schwebend wirkende, von der Decke abgehängte „White Cubes“ gesteigert wird.
In die neugewonnenen Säle zieht die moderne Kunst. Der kleine Saal im Nordflügel ist für Wechselausstellungen vorgesehen, in dem größeren werden Werke von Brücke-Künstlern gezeigt, die der Sammler Hermann Gerlinger dem Kunstmuseum zur Verfügung stellt, was als symbolische Rückkehr der Expressionisten gefeiert wird. Die Einrichtung der ersten Ausstellung wird Geschick erfordern, soll bei der Eröffnung am 12. Dezember die Großzügigkeit der Räume trotz der Stellwände erlebbar werden.
Im neuen, ebenfalls mit Aluminium verkleideten Treppen- und Aufzugsturm, der an die Stelle der gesprengten Bastion getreten ist, eröffnet ein Panoramafenster den Blick auf die Stadt. Unmittelbar daneben werden drei der zehn nach dem Verlust von 1936 noch vorhandenen Stadtansichten gezeigt, die Lyonel Feininger einst als „Artist in Residence“ im Torturm schuf. Beim Anblick der Gemälde glaubt man die formale Herkunft der schiefwinkligen Lichttrichter orten zu können – Expressionismus ist eben nicht nur als „Flachware“ in die Moritzburg zurückgekommen.