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Archiv-Artikel

„Heute sind wir mal dran!“

Rund 100.000 Berliner kommen zur jährlichen Fahrradsternfahrt. Die Organisatoren fordern: Respekt für Radler. Und die freuen sich, wenigstens einmal im Jahr Autos stoppen zu können

von ANNE RUPRECHT

„Hier im Mittelfeld is am meesten Speed druff, wa?“ Stephan grinst zufrieden und verdoppelt sein Tempo. Es ist 11 Uhr morgens, die Sonne scheint, Häuser und Bäume fliegen vorbei, ein Hauch von Sonnenöl liegt in der Luft. So schmeckt Radlerfreiheit. „Det is doch richtig anjenehm“, findet Stephan und drückt zur Feier des Tages auf seine Hupe. Freie Fahrt für Fahrradfahrer, Autos müssen warten, Passanten stehen gaffend am Wegrand. „Det is ne Action, wa!“, ruft Stephan. Heute ist sein Tag.

Und der von rund 100.000 Berliner Radlern, die trotz Hitze an der Sternfahrt teilnehmen. Obwohl als politische Demo angemeldet, ähnelt die Tour eher einem fröhlichen Volksfest. Eine bunte Truppe radelt aus allen Himmelsrichtungen gen Mitte: Eltern mit Kindern und Picknickkorb, Senioren im Team-Telekom-Dress, junge Pärchen und schräge Vögel wie eben Stephan.

„Ick bin ’n richtiger Fahrradtrucker“, sagt er. Die Sternfahrt ist ihm heilig: „Ick lass keene aus, det is meene Pflicht. Ick bin schon ewig dabei, bestimmt schon seit 20 Jahren.“ Der 38-jährige Berliner ist Fahrradfanatiker. Über fünfzig Zweiräder hat er zu Hause in Wohnung und Keller stehen. „Unjefähr vierzig Oldies, vier Spezialis und zehn, die noch nischt zusammenjebaut sind.“

Für die Sonntagstour hat er eines seiner „Schlachtschiffe“ aus dem Keller geholt: „Det is ’n Sitzzweirad“. Eine ausgefallene Eigenkreation auf jeden Fall: Vorn am lässigen Lenker eine Plexiglasscheibe, rotweiße Bänder um Bügel und Stangen, tief gelegter Sitz, bunte Lichter. Sogar ein Autoradio hat er am Rahmen montiert. Und nicht zu vergessen: zwei Hupen.

Auf dem liebevoll dekorierten und präparierten Drahtgestell sitzt Stephan lässig wie auf einer Harley Davidson. Ein Stars-and-Stripes-Banner flattert hinter ihm her. „Ne Harley für Arme is det“, spottet sein Freund Toni. Stephan kümmert’s wenig. Seine Harley erregt mindestens so viel Aufsehen wie das Original. Leute am Wegrand deuten auf das ausgefallene Gefährt, einem überholendem Radlerkollegen ist es gar eine Kusshand wert. Stephan grinst: „Schön is det. ’s jibt aber ooch Leute, die sagen, was für ’n Spinner. Is aber o. k. Man braucht ooch Leute, die man mit der eijenen Kreativität ärjern kann.“

Als sich der Radkonvoi dem Tunnel der Stadtautobahn nähert, sind mögliche Ignoranten schnell vergessen. „Attacke!“, ruft Stephan, zieht rechts an den übrigen Radlern vorbei und drückt seine Hupe bis zum Anschlag. Der Tunnel wirkt wie ein riesiger Verstärker. Den 38-Jährigen freut’s wie ein Kind: „Toller Sound, wa?“

Nicht nur für Stephan, auch für die übrigen Radler ist die größte deutsche Fahrraddemonstration vor allem eines: ein Riesenspaß. „Respekt für Radler“ haben Stephan und seine Mitradler trotzdem aktiv eingefordert: Als eine dicke Limousine an einer gesperrten Kreuzung partout nicht warten möchte, steigen Stephan und Konsorten einfach vom Rad und postieren sich vor der Motorhaube. Ein kleiner Machtkampf. Der Daimler-Fahrer hupt, Stephan hupt zurück, schimpft laut: „Ein Sonntag! Das ganze Jahr seid ihr Sieger, heute sind wir mal dran!“