■ Zur geplanten Abschiebung von Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern aus Restjugoslawien: Heuchler
Als das Menschenschlachten der großserbischen Nationalisten im ehemaligen Jugoslawien seinen Anfang nahm, da entzogen sich viele mutige junge Männer aller Nationalitäten der von Belgrad dirigierten Armee. Serben, Kosovo-Albaner, Mitglieder ungarischer und anderer Minderheiten desertierten, weil sie den Wahnideen nationalistischer Ideologen, die dem Vielvölkerstaat Tod und Terror brachten, nicht zu folgen bereit waren. Ein Akt menschlicher Größe, für den das jugoslawische Strafgesetzbuch die Todesstrafe vorsah. Viele dieser Männer, deren Antikriegshaltung seinerzeit von Politikern und Medien in ganz Europa als beispielhaft gelobt wurde, sind nach Deutschland geflohen. Doch mit ihrem Schutz soll es jetzt vorbei sein. Auch sie sollen abgeschoben werden.
Die Bundesregierung tut so, als gehöre die Gefährdung der Deserteure in Restjugoslawien der Vergangenheit an. In einem Schreiben des Bundesinnenministeriums vom 27. 1. 1994 heißt es, daß „die Todesstrafe für Wehrstrafen mit Wirkung vom 31. 12. 1993 ausdrücklich abgeschafft“ worden sei. Danach sei „nicht mehr zweifelhaft, daß Wehrdienstverweigerer aus Restjugoslawien die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses [...] nicht mehr erfüllen“. In einem weiteren Schreiben aus dem Hause des Bonner Innenministers Manfred Kanther vom 17. 2. 94 zur Situation von Kosovo-Albanern ist davon die Rede, es könne auch hier „nicht angenommen werden, daß Wehrdienstverweigerern und Deserteuren aus dem Kosovo die Gefahr der Folter oder einer unmenschlichen erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung droht [...]“ Deshalb sei für ein generelles Abschiebeverbot „kein Raum“. In diesem Schreiben versteckt sich eine kleine Wahrheit und eine große Lüge.
Die Todesstrafe wurde tatsächlich abgeschafft – aber nicht ersatzlos. Für Deserteure – mindestens 1.300 sitzen nach Angaben des „internationalen Deserteursnetzwerks“ in Serbien in Haft – sieht das Gesetz nun Gefängnisstrafen zwischen fünf und zwanzig Jahren vor. Keine Bestrafung, keine Verfolgung? Wer daran trotz der zahlreichen Berichte von Menschenrechtsorganisationen immer noch zweifelt, der sollte vielleicht einmal den jüngsten Lagebericht des Auswärtigen Amtes studieren. Selbst darin finden sich Belege für die staatliche Repression: „Bei der Rückkehr von Personen aus dem Ausland, die sich dem Wehrdienst entzogen haben“, sei es „mehrfach vorgekommen, daß Festnahmen mit dem Ziel der unmittelbaren Zuführung zum Wehrdienst oder Strafverfahren“ stattgefunden hätten, heißt es dort.
Daß der für heute vorgesehene Beginn der Abschiebung aus Düsseldorf via Rumänien nach Restjugoslawien abgeblasen wurde, resultiert leider nicht aus neuen Einsichten, sondern nur aus der plötzlichen Weigerung der rumänischen Regierung, sich als Transitland zur Verfügung zu stellen. Auf mangelnde Kenntnis der tatsächlichen Bedrohung kann sich spätestens seit den gestrigen Berichten aus Belgrad kein deutscher Politiker mehr berufen. Wer desertiert und ins Ausland geflohen sei, so verlautbarte etwa die regierungsnahe Belgrader Zeitung Politika gestern, müsse mit bis zu zehn Jahren Haft rechnen. Walter Jakobs
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen