Hetzjagd nach RTL2-Show "Tatort Internet": Am Rande der Legalität
RTL2 verfolgte mutmaßliche Kinderschänder und verpixelte deren Gesichter. Trotzdem war es für Internetnutzer leicht, ihren Klarnamen herauszufinden.
Wenn Männer kleine Mädchen vernaschen, ist das nicht nur widerlich, sondern strafbar. Da sind sich alle einig. Wenn ein Fernsehsender in aller Öffentlichkeit eine Hetzjagd auf mutmaßliche Pädophile veranstaltet, ist das weniger verständlich. So wie RTL 2 in der Sendung "Tatort Internet - Schützt endlich unsere Kinder", die in der vergangenen Woche gestartet ist. Im Visier: Männer, die sich mit minderjährigen Mädchen in Chatrooms zum Sex verabreden. Cyber-Grooming nennt man dieses Sichranmachen an Kinder im Internet, das aktuell in Deutschland nicht strafbar ist.
Und so funktioniert das Format: Journalistin Beate Krafft-Schöning gibt sich im Chat als Minderjährige aus und verabredet sich. Schauspielerinnen, einige gerade einmal 18 Jahre alt, treffen den Interessierten, bis die Falle zuschnappt. Vor laufender Kamera. Dieses Konzept wurde vielfach kritisiert, die medienpolitische Sprecherin der Grünen, Tabea Rößner, nannte die Sendung "einen neuzeitlichen Pranger". Wenn es tatsächlich um Aufklärung ginge, hätte man die Szenarien im Zeitalter von Pseudo-Dokus auch von Schauspielern nachstellen lassen können.
Der Moderator der Sendung, Udo Nagel, der ehemalige Polizeipräsident und Ex-Innensenator von Hamburg, sagte: "Durch die umfassende Verpixelung aller Details und die Verfremdung der Stimmen wurden die Persönlichkeitsrechte gewahrt. Dies wurde mehrfach juristisch geprüft. Alle Beteiligten und auch ich lehnen eine irgendwie geartete Hetzjagd ab."
Doch bereits vor der ersten Sendung räumte RTL2-Chef Jochen Starke ein, in einem der recherchierten Fälle per einstweilige Verfügung davon abgehalten worden zu sein, das Material zu senden. Es stimmt zwar, dass Betroffene in "Tatort Internet" gepixelt werden. Allerdings werden Informationen zu Beruf oder Alter der Personen genannt. Auf Twitter und in Blogs gingen Hobby-Fahnder noch während der laufenden Sendung am Montag ans Werk, berichtet das Blog netzpolitik.org. Relativ schnell konnten sie Name und Anschrift der Beschuldigten aufdecken. Tatsächlich ermittelt das LKA München bereits in einem Fall, wie dessen Pressechef Detlef Puchelt sagte. Zwar kamen die Hinweise nicht, wie einige Medien berichteten, aus der Bevölkerung, sondern direkt von RTL2. Dennoch kann von lückenloser Anonymisierung keine Rede sein.
Unabhängig davon stellt sich die Frage, ob ein TV-Sender mit versteckter Kamera Polizei spielen darf. Thomas Stadler, Fachanwalt für IT-Recht, sieht das kritisch: "RTL2 hat einfach keine Polizeibefugnisse, die spielen ein bisschen Hilfssheriffs." Zudem könnte sich RTL2 selbst auf der Anklagebank wiederfinden: "Das unbefugte Aufnehmen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes ist strafbar", stellt Stadler klar. "Das Senden desselben auch." Doch auch die Anwälte von RTL2 kennen das Strafgesetzbuch. Ein kleiner Satz bietet ein Schlupfloch, denn Aufnahmen sind nicht rechtswidrig, wenn sie zur "Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen" gemacht werden. Zwar dürfte es die Öffentlichkeit interessieren, wenn ihre Kinder in Gefahr sind. Aber, ist das tatsächlich der Fall, wenn Menschen in die Falle gelockt werden, um dann einem Massenpublikum vorgeführt zu werden?
Dass die Staatsanwaltschaft gegen RTL2 Ermittlungen aufnimmt, muss der Sender zumindest nicht fürchten. Da es sich um ein sogenanntes "Antragsdelikt" handelt, so Stadler, müssten die Betroffenen selbst Anzeige erstatten. Ob die überhaupt von ihrem Recht wissen, geschweige denn sich medienrechtlich versierte Anwälte leisten können, ist fraglich. Zumindest Udo Nagel ist sich sicher, dass "Tatort Internet" der guten Sache dient, "weil ich der festen Überzeugung bin, dass etwas geschehen muss". Er meint damit, dass Eltern und Kinder aufgeklärt und Gesetze geändert werden müssten. Die Hetzjagd meint er nicht.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?