Hetero-Sexfantasien auf der Berlinale: Gewinnen und verlieren
Porno ist besser als Sex, sagt die Hauptfigur in „Don Jon’s Addiction“. Julianne Moore und Scarlett Johansson könnten ihn vom Gegenteil überzeugen.
Mechanik der männlich-heterosexuellen Pornophilie: Computer an, Bilder zum Aufwärmen, die Suche nach dem passenden Clip, schließlich Hand an den Schwanz und kopfüber in eine Welt williger Frauen ohne lästiges Kuschelbedürfnis.
Porno ist besser als Sex, sagt Don Jon (Joseph Gordon-Levitt) und er bringt – in einem schmerzhaft zugespitzten Vergleich – einen ganzen Strauß Gründe dafür an. So funktional sich das anhört, so funktional ist auch sein Verhältnis zu allem anderen: Da die Freunde, dort der Club, dort drüben der Aufriss (nach Erfolg: Handsex mit dem Internet), hier sein durchtrainierter Körper, dann die Familie, sonntags Kirche und dann im Kämmerlein Beichte.
Buße als Verhandlungssache, Eros als Leistungsdiktat: Wie viele Vaterunser sind zehn Pornospritzer wert? Don Jons Hedonismus liegt in den Zügeln der Maßregelung, so aseptisch auf cool getrimmt wie die Montage von „Don Jon’s Addiction“ (ab Oktober 2013 auch bundesweit im Kino), und ist nicht zuletzt eingegliedert in eine Industrie der Triebabfuhrverwaltung, die einen Exzessüberschuss samt seiner Subversionspartikel gar nicht erst entstehen lässt.
Don Jon ist ein Gewinner: „Nur Loser schauen Pornos“, sagt er. Eine Formel, die in der Lüge das offene Geheimnis ihres Gegenteils kenntlich macht. Gewinnen, aber doch verlieren wird er aber Barbara (Scarlett Johansson) – sie kommen zusammen und doch nicht: er, weil er ein Wichser ist, sie, weil sie in den Fantasmen romantischer Komödien lebt. Gefangene eines industriell zugerichteten Begehrens.
Eine Art retro-utopischen Fluchtpunkt stellt Esther (Julianne Moore) dar – offenherzig, hippiesk wallend im Auftritt, mit über 50 unwahrscheinliche Sex- und Liebespartnerin für den 30-Jährigen, feine Holzmöbel statt Nobelchic. Erst gibt sie ihm eine DVD mit Siebziger-Jahre Pornos, die eher sensuelle Experimentierfreude in Aussicht stellen als Fließbandspritzen. Später zeigt sie ihm, wie man sich im Sex auch zu zweit verliert.
Gordon-Levitt, der mit Auftritten im Blockbuster-, Indie und Slipstream-SciFi-Kino zu den derzeit interessantesten Jungschauspielern Hollywoods zählt, kriegt als Regiedebütant mit seiner galligen Komödie einen Splitter Wahrheit über die Kultur des Akkordamüsements zu fassen. Am Ende nervt die didaktische Struktur, das simplizistische Ausspielen unterschiedlicher Lebensentwürfe aber doch. Was nichts daran ändert, dass man sich in Julianne Moore in jedem Film aufs Neue verliebt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?