Hessens SPD-Chefin Ypsilanti über Fehler: "Ich habe überlegt aufzuhören"
Am Samstag kandidiert Andrea Ypsilanti für den zweiten Listenplatz von Hessens SPD. Im taz-Interview spricht sie über die Gründe ihrer gescheiterten Machtübernahme - und ihren Partei-Rivalen Walter.
taz: Frau Ypsilanti, glauben Sie an Wunder?
Andrea Ypsilanti: Sozialdemokraten glauben nicht an Wunder, sie arbeiten an Veränderungen.
Aber die SPD braucht ein Wunder, um am 18. Januar zu gewinnen.
Ach, man hat schon so oft über die SPD geschrieben, dass wir keine Chance habe. Das beeindruckt mich nicht mehr so sehr. Wir wissen, dass wir dicke Bretter bohren müssen. Und wir haben einen guten Spitzenkandidaten. Viele haben bezweifelt, dass Thorsten Schäfer-Gümbel aus dem Stand eine Chance gegen Roland Koch hat. Aber die Umfragen zeigen, dass er sich tapfer schlägt.
Die Umfragen zeigen auch, dass die SPD 15 Prozent hinter der CDU liegt. Wie wollen Sie das ändern?
Mit unseren Themen. Mit gerechter Bildungspolitik, sozialer Gerechtigkeit, Arbeitnehmerrechten und einer zukunftsfähigen Energiepolitik. Diese Themen sind doch nicht obsolet geworden. Die werden jeden Tag wichtiger. Es wird darauf ankommen, wie hart wir kämpfen. Ich habe auf vielen Konferenzen erlebt: Es gibt an der Basis das Gefühl: Jetzt erst recht.
Glauben Sie wirklich, dass die SPD so motiviert ist wie vor einem Jahr?
Nein, noch nicht. Der letzte Wahlkampf war etwas Besonders. Da haben sich Genossinnen und Genossen beteiligt, die man in der Partei lange nicht gesehen hatte. Viele haben gesagt: Das war wie ein Willy-Brandt-Wahlkampf. Jetzt ist es schwieriger. Es gilt, ein Stück Glaubwürdigkeit zurück zu gewinnen.
Wegen des Wortbruchs, doch mit der Linkspartei zusammenzuarbeiten.
Ich habe mich unseren Inhalten verpflichtet gefühlt, unserem Projekt der sozialen Moderne. Dafür habe ich das Versprechen brechen müssen, nicht mit der Linkspartei zusammenzuarbeiten. Ohne Zustimmung der Linkspartei wäre es uns nicht gelungen, die Studiengebühren in Hessen abzuschaffen.
Thorsten Schäfer- Gümbel sagt: Der Wortbruch war der Fehler. Teilen Sie das?
Wir hatten 2007 geglaubt, dass es die Linkspartei nicht ins Parlament schafft. Wir hatten geglaubt, nach der Wahl mit der FDP ins Gespräch zu kommen. Beides kam anders. Die FDP hat sich schlicht geweigert, mit uns zu reden. Außerdem: Koch und die FDP hatten versprochen, nicht mit den Grünen zu regieren - nach der Wahl haben sie um Jamaika geworben. Ich habe nirgends gelesen, dass dies ein Wortbruch war. Das war es nur bei mir.
Mag sein. Aber gewinnen Sie Glaubwürdigkeit, wenn sie die Argumente von vor acht Monaten wiederholen? Müssen Sie nicht, wie Schäfer-Gümbel, sagen: Der Wortbruch war falsch.
Die Fehler sind doch vielfach eingestanden worden. Sind denn die SPD-Politiker, die 2005 keine Mehrwertsteuererhöhung versprochen hatten und danach drei Prozent Mehrwertsteuererhöhung mit der CDU verabredet haben, dafür so gelöchert worden? Nein. Ich soll allerdings ständig bekennen, dass es ein Fehler war. Aber, bitte sehr!
Welchen Fehler meinen Sie - die Zusammenarbeit mit der Linken auszuschließen oder sie doch anzuvisieren?
Das eine hat mit dem anderen zu tun. Und wir haben daraus gelernt. Die hessische SPD schließt heute eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei nicht mehr aus. Ebenso wie Hannelore Kraft in NRW und Heiko Maas im Saarland. Beide wissen, wohin es führen kann, wenn man sich auf "Nie mit der Linkspartei" festlegt.
Man kann die hessische Erfahrung leider auch anders lesen: Eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei spaltet und überfordert die SPD.
Nein, mehr als 90 Prozent der Delegierten wollten auf dem Parteitag diesen Weg. Wir sind gescheitert, weil drei Abgeordnete 24 Stunden vor der Wahl ihr Gewissen entdeckt haben. Obwohl wir zuvor in einem offenen, demokratischen, langwierigen Prozess ausdiskutiert haben, welcher Weg richtig ist. Wir haben Bedingungen für eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei ausgearbeitet, die von allen akzeptiert wurden. Rot-Grün toleriert von der Linkspartei ist nicht an der SPD gescheitert - sondern an drei Abgeordneten.
Lag es nur an drei unberechenbaren Abgeordneten? Ist das die ganze Geschichte?
Ja, ich kann nur diese Geschichte erzählen. Denn es gibt keine andere.
Sind Sie selbstkritisch?
Ja. Ich habe mich in den Tagen danach immer gefragt: Wo war der Fehler? Was habe ich übersehen?
Wenn Sie Jürgen Walter zum Wirtschaftsminister gemacht hätten, wären Sie heute Ministerpräsidentin.
Ach so? Damit unterstellen Sie, dass Herr Walter sein Gewissen nicht entdeckt hätte, wenn er Wirtschaftsminister geworden wäre. Das tue ich nicht.
Überzeugend war die sehr späte und plötzliche Entdeckung drängender Gewissensqualen nicht gerade. Warum haben Sie Walter nicht zum Wirtschaftsminister gemacht?
Es gibt 42 SPD-Abgeordnete. Viele davon sind ministrabel. Aber nicht alle können Minister werden. Ich kann nicht verantworten, dass es in der SPD Loyalität nur gegen Jobs gibt.
Walter war Ihr Gegenspieler. Sie hätten ihn einbinden müssen.
Das Entscheidende war für mich der Politikwechsel - und dazu gehört eine neue Energiepolitik, die Arbeitsplätze schafft und den Mittelstand fördert. Dafür stand Hermann Scheer und nicht Jürgen Walter.
Manche Medien haben Sie als "machtgeil" denunziert. Vielleicht waren Sie aber zu wenig machtbewusst und zu sehr fixiert auf den Politikwechsel.
Ich hätte also den Politikwechsel für die Macht opfern sollen? Nein, es gibt Grenzen.
Wo waren die Grenzen?
Bei den zentralen Inhalten in der Bildungspolitik, in der Sozialpolitik, und in der neuen Energie-, Umwelt- und Wirtschaftspolitik. Letzteres war nicht Jürgen Walters Anliegen und so wäre die Energiewende ein leeres Versprechen geblieben. Das hätte ich nicht rechtfertigen können.
Wären Neuwahlen im März nicht der klügere Weg gewesen?
Dagegen sprach, dass man die Bürger doch nicht so lange wählen lassen kann, bis den Parteien das Ergebnis gefällt. Und es gab eine Mehrheit von 85.000 Stimmen diesseits von CDU und FDP. Meine Hoffnung war, dass, wenn wir regieren und die Bürger sehen, dass wir eine gute Politik machen, wir überzeugt hätten.
Wäre es nicht moralisch sauberer gewesen, wenn die SPD im März gesagt hätte: Das Parlament befindet sich in einer Selbstblockade. Deshalb schließen wir für die Neuwahl die Zusammenarbeit mit der Linkspartei nicht mehr aus?
Ja, hinterher ist man schlauer. Ich finde es nicht ziel führend, im Nachgang alle Möglichkeiten noch mal durchzuspielen. Wir haben jetzt eine neue Aufgabe. Die müssen wir meistern.
Die SPD wird die Wahl nur meistern, wenn sie über eine glaubwürdige Erzählung verfügt, was passiert ist.
Die haben wir.
Es klingt aber nach: Wir haben alles richtig gemacht.
Nein, wir haben auch im März, nach der Wahl, Fehler gemacht. Da hätten wir die Regionalkonferenzen einberufen müssen und die Debatte in der Partei führen müssen. Dann hätten auch mehr Bürger unser Dilemma verstanden. Aber es gab damals riesigen Druck - von den Grünen, von Umwelt- und Sozialverbänden, von Gewerkschaften. Die wollten alle, dass wir Koch ablösen.
29,1 Prozent war 2003 das schlechteste Ergebnis der SPD in Hessen. Wenn die SPD nun noch weniger bekommt - bleiben Sie dann Parteichefin?
Na, bei den 29,1 Prozent gab es die Linkspartei noch nicht. Das muss man in Rechnung stellen.
Bleiben Sie SPD-Chefin, wenn die Wahl katastrophal endet?
Das entscheiden wir nach der Wahl.
Aber es hängt vom Ergebnis ab?
Es hängt von meiner Entscheidung ab, ob ich mich noch mal zur Wahl stelle. Aber: Wir kämpfen für ein gutes Ergebnis. Die Bürger wissen, dass es mit Roland Koch keine andere Bildungspolitik und keine Energiewende geben wird. Auch dass er sich jetzt als Wirtschaftsexperte aufspielt, verfängt nicht. Dass die Apologeten des Neoliberalismus uns jetzt erzählen wie man die Finanzkrise bewältigt, ist doch nicht glaubwürdig.
Frau Ypsilanti, die FAZ hat das Gerücht kolportiert, dass es Druck auf Abgeordnete gab, ihre Stimme für Sie als Ministerpräsidentin per Handyfoto zu dokumentieren. Stimmt das?
Das ist Quatsch. Es gab vor der Wahl am 3. November einen Text im "Spiegel", dass einige Abgeordnete das tun wollten. Wir waren alarmiert und hätten bei der Fraktionssitzung klargestellt, dass es so etwas nicht geben darf.
Der zweite Vorwurf lautet, dass es 2006 Manipulationen gab, als sie Jürgen Walter knapp geschlagen haben?
Wir haben demokratisch gewählt Zählkommissionen, die das Ergebnis mehrmals überprüft haben. Der Vorwurf lautet, dass beim Zählen die Tür zugemacht wurde. Lächerlich. Das ist bei Auszählungen normal.
Sie sind oft scharf angegriffen worden. Haben Sie mal überlegt, aufzuhören?
Ja.
Wann?
(lacht) Immer mal wieder.
Ein bisschen genauer?
Nein, lieber nicht. In der SPD eine Führungsrolle zu haben, ist kein Kindergeburtstag. Das ist eine immer neue Herausforderung, der stelle ich mich.
Sie sind eine Aufsteigerin. Sie haben gegen den Willen Ihrer Eltern Abitur gemacht. Kommt daher ihr zäher Wille?
Das kann sein. Mir wurde nichts geschenkt. Und von meinen Eltern habe ich Durchhaltevermögen und Disziplin gelernt.
Können Sie sich ein Leben ohne Politik vorstellen?
Nein. Ich brauchte nicht unbedingt ein hohes politisches Amt. Aber ich werde immer ein politisch denkender Mensch sein.
Walter ist in der SPD erledigt, Sie sind es auch, wenn die Wahl mies endet. Das hat etwas von einer Tragödie. Die Gegenspieler gehen gemeinsam unter.
Ich werde schon nicht untergehen. Was für mich zählt, sind die Inhalte. Wir haben gezeigt, was man in Hessen konkret für die Energiewende, eine gute Sozialpolitik und gerechte Bildung tun kann. Das bleibt. Das sehen auch viele jüngere Genossen, wie Thorsten Schäfer-Gümbel, so. Das beruhigt mich ungemein.
INTERVIEW: STEFAN REINECKE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten