: Herumgenörgele an Arbeitssuchenden
■ betr.: „Es trifft mehr und andere Leute“, Interview mit Heinz Bude, taz vom 8.7. 97
Es ist schon erstaunlich, mit welchen Plattitüden Prof. Bude sein gewiß hochdotiertes Unverständnis gesellschaftlicher Realitäten verbreitet.
Natürlich ist Arbeit nicht alles im Leben der Menschen, und das Herumstottern bezüglich irgendwelcher Tätigkeiten dient auch nur der Ablenkung. Das Gefühl der Nützlichkeit in und für die Gesellschaft ist und bleibt einer der wichtigsten Motoren für unser Selbstbewußtsein, für die Entfaltung eigener Wertschätzung. Und diese Nützlichkeit ist für die meisten Menschen eben Quelle ihrer Alimentation. [..]
Nehmen wir die beleidigenden Appelle an die Adresse Arbeitsuchender bezüglich ihrer Flexibilität: Wer ist denn flexibel und wer nicht? Mit schlafwandlerischem Selbstverständnis werden von deutschen Jobanbietern, wenn überhaupt, ausschließlich MitarbeiterInnen gesucht, die nachweislich genau das, was die machen sollen, schon immer getrieben haben, die besonders pflegeleicht erscheinen, weil sie sich möglichst nie bewegt haben, weder lokal noch geistig, die eben keine Ideen haben, keine Phantasie, demzufolge auch keine Erfahrung, denn Erfahrung setzt Mut und Lust am Neuen, am Fremden voraus, Veränderungen, Vielfalt, Bewegung, die Erfolge ermöglicht und Rückschläge, aber immer neue Einsichten und Erkenntnisse vermittelt. Salopp gesagt: Wie soll ein Soziologe etwas entdecken oder auf den Begriff bringen, wenn er sich zeitlebens nur in seinem beschränkten Zitierkartell herumgetrieben hat? Wie tönte es zu Lernzeiten der jetzigen EinstellerInnen aus Bonn? Nur keine Experimente!
Anstatt an den Arbeitssuchenden herumzunörgeln, wird es immer dringender, die Inflexibilität, die Angst allem Neuen, Fremden gegenüber bei deutschen Arbeitgebern und deren Einstellungsinstanzen zu untersuchen. Ach ja, und als qualifizierter, sachkundiger Mitarbeiter würde ich mich da natürlich andienen. Jürgen Lichtenberger,
Darmstadt
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