Hertha BSC Berlin: Mut zur Schönheit
Die Berliner sind zu einer stabilen Größe in der Bundesliga geworden, wie auch das 2:2 gegen Bayern zeigt. Nur mit dem Publikum werden sie nicht warm.
Als Genki Haraguchi am Sonntagnachmittag durch den Strafraum des FC Bayern wieselt und zwei Verteidiger stehen lässt, kann man dabei zugucken, wie er sich entscheidet, das Glück noch ein wenig auszureizen. Unter dem Raunen der Ostkurve umgeht er also das ausgestreckte Bein von Mats Hummels, lässt mit einem nächsten Haken noch zwei Mann stehen und gibt in dem Moment, in dem der Mut zum Übermut kippen könnte, präzise an Ondrej Duda durch, der zum 1:2 einschiebt. Am Ende steht es 2:2 für Hertha. „Wie ein Sieg“ fühle sich das an, sagt Manager Michael Preetz. Und das unglaubliche Solo von Haraguchi kommt sehr nahe an das, was Pál Dárdai meinen könnte, wenn er sagt: „Wir wollen mutig sein.“
Mut ist eine Qualität, die Hertha wechselhaft pflegt. Mut zum Kampf, zur Disziplin, zum Kratzen und zum Borstigsein, das liegt den Berlinern. In dieser Saison aber soll sich der Mut um ein Kapitel ergänzen: Mut zur Schönheit.
Der Blick auf die Tabelle lässt nicht viel davon vermuten; nach sieben Spieltagen liegt der Verein im Mittelfeld auf Platz 10. Acht erzielte Tore, die wenigsten Torschüsse der Liga, das klingt nicht nach Spektakel. Hertha ist und bleibt eines der Teams, die ein kontrolliertes 1:0 besser können als den rauschenden 4:3-Sieg. Das hier ist der disziplinierte, aufmerksame Schüler aus der zweiten Reihe, der immer brav die Hausaufgaben macht – und nicht das launische Genie.
Aber die alte Dame ist, das unterschlägt die Statistik, kreativer geworden. Wo es in den vorherigen Spielzeiten darum ging, den Ball irgendwie effizient im Tor unterzubringen, kann man jetzt im Olympiastadion dabei zuschauen, wie die Berliner mit zwei, drei steilen Pässen die gegnerische Abwehr zerpflügen – und manchmal sieht das betörend schön aus. Hertha ist unangenehm zu spielen: Ein geschlossenes, zweikampfstarkes Team, das stabil nach hinten arbeitet und flink nach vorn.
Ein konstanter Kandidat
„Wir sind zufrieden“, sagte Antreiber Vladimir Darida nach dem 2:2 gegen den FC Bayern und klang so, als ob er das meinte. „Das hier ist für uns ein Bonuspunkt.“ Nur zwei Punkte Rückstand sind es in der Tabelle auf die Euro-League-Plätze. Wenn alles planmäßig läuft, wird Hertha BSC in dieser Saison wieder ums internationale Geschäft spielen. Als einer der wenigen konstanten Kandidaten.
Ausgerechnet die einst so flatterhaften Berliner sind in der Bundesliga eine stabile, spießig akribisch arbeitende Größe geworden. Vom Kellerkind zum festen Europapokalanwärter: Ein Erfolgsmärchen, das zu Unrecht verblasst ist hinter dem Höhenflug von Lokalrivale Union. Hertha geht fundamental die Romantik des Außenseiters ab, und finanziell hat der Verein dank seinem Investor hilfreiche Scheine fürs obere Tabellendrittel auf dem Konto. Aber Geld in Erfolg umzuwandeln schafft beileibe nicht jeder Bundesligist so nachhaltig wie Hertha.
Hertha BSC spielt seit der Saison 2013/14 wieder in der ersten Liga. Die Mannschaft von Trainer Pál Dárdai hat sich in der Saison 2016/17 für die Europa League qualifiziert und feiert damit die Rückkehr aufs internationale Parkett. In der Euro League waren die Berliner allerdings bislang mäßig erfolgreich: Nach einem Remis und einer Niederlage ist das Weiterkommen in Gefahr.
In dieser Saison stehen die Berliner nach sieben Spieltagen aktuell auf dem zehnten Platz. Um sich sicher fürs internationale Geschäft zu qualifizieren, muss Hertha mindestens Platz sechs erreichen. (asc)
Als am Sonntag gegen Bayern Mitchell Weiser und Mathew Leckie harmonisch in die Lücken der Münchner Verteidigung stießen, waren sie auch ein Symbolbild für die langsam wachsende Hertha. Der Verein ist wieder interessant geworden für aufstrebende Nachwuchsspieler, mit Marvin Plattenhardt sogar für einen deutschen Nationalspieler.
Die Einkaufspolitik der Berliner in den letzten Jahren war geradezu spektakulär erfolgreich. Hertha hat ein Gespür für Talente, die bei der nächstgrößeren Hausnummer den Durchbruch nicht geschafft hatten, und die Weisers und Rekiks, die bei Bayern oder ManCity durchfielen, danken es. Davie Selke von RB Leipzig ist der Nächste in der Reihe.
Bislang treibt Hertha diesen Aufbau vernünftig voran. Gegenüber dem Tagesspiegel erklärte Pál Dárdai kürzlich, einer seiner Träume sei es, mit Hertha in der Champions League zu spielen. Als langfristig Ziel ist das eher illusorisch: An den vier Großen, Bayern, Dortmund, Hoffenheim und Leipzig, kommen die Berliner spielerisch und finanziell nicht vorbei. Aber als One-Hit-Wonder, wenn einer aus dem Quartett für eine Saison Schwäche zeigt – warum nicht? Die neue Hertha macht es vorstellbar.
Nicht mal ausverkauft
Je mehr der Verein sportlich wächst, desto größer wird allerdings auch ein Dilemma: Wie viel Größe verträgt sich mit dem Umfeld? Es bleibt das alte Hertha-Problem: Es gelingt dem Verein einfach nicht, seine Anhängerzahl mitwachsen zu lassen. Zum Euro-League-Debüt, immerhin gegen Athletic Bilbao, kamen blamable 28.000 Zuschauer ins Olympiastadion. Die groß angekündigte Rückkehr ins internationale Geschäft lief trostlos. In der Bundesliga war selbst das Heimspiel gegen die Bayern nicht ausverkauft. Der Verein setzt alles auf die Karte, dass ein wie auch immer umgebautes Stadion das Dilemma löst.
Trotz der ganz offensichtlichen Hindernisse soll offiziell im Jahr 2025 das Stadion fertig sein. Bis dahin könnte Hertha BSC sein sportliches Märchen weiterschreiben. Und muss aufpassen, dass es nicht sich selbst überholt. Damit es nicht irgendwann heißt: Stell dir vor, es ist Champions League und keiner geht hin.
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