Hermann Gröhe über den Atomausstieg: "Auf Schmerzgrenzen achten"
Die AKW-Laufzeiten sind kein Grundpfeiler christdemokratischer Politik, sagt CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. Und gibt vorsichtig Fehler der Atompolitik zu.
taz: Herr Gröhe, "das Beharren auf dem isolierten nationalen Ausstieg aus der Kernenergie erscheint ebenso ignorant wie gefährlich". Wissen Sie, wer das geschrieben hat?
Hermann Gröhe: Norbert Röttgen.
Ja, 2009. Jetzt propagiert Umweltminister Röttgen das Gegenteil. Kein Wunder, dass die Union ein Glaubwürdigkeitsproblem beim Atomausstieg hat.
Wir haben das Problem, dass unser Energiekonzept im Herbst fast ausschließlich unter der Überschrift "Laufzeitverlängerung" wahrgenommen worden ist. Dazu haben wir mit unnützen Debatten selbst gehörig beigetragen. Über diesen Streit ist völlig in den Hintergrund geraten, dass bereits im Herbst der Umstieg auf erneuerbare Energien unser zentrales Ziel war.
Der CDU-Politiker Thomas Strobl sagt: Die Laufzeitverlängerung für die AKWs war ein Fehler. Warum sagen Sie das nicht auch?
Der Gedanke, mittels moderater Laufzeitverlängerung den Umstieg zu einem erheblichen Teil zu finanzieren, war legitim. Jetzt beschleunigen wir den Weg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien. Und korrigieren dabei Entscheidungen in Bezug auf die Länge der Laufzeiten.
Der 50-Jährige Rechtsanwalt ist seit 1977 Mitglied der CDU und hat in der Partei etliche Ämter bekleidet. Gröhe war Bundesvorsitzender der Jungen Union und menschenrechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Von 2008 bis 2009 arbeitete er als Staatsminister bei der Bundeskanzlerin, seit Oktober 2009 ist Gröhe Generalsekretär der CDU.
Man korrigiert Fehler …
Wir korrigieren unseren Kurs, weil wir nach der Katastrophe von Fukushima zu einer neuen Bewertung von Risiken und Risikoakzeptanz gekommen sind. Diese Konsequenzen halte ich für geboten, ohne dass ich deshalb den Stab über die Entscheidungen im Herbst 2010 breche. Im Übrigen haben auch SPD und Grüne nach Fukushima ihre Vorstellungen verändert.
Warum tun sich Politiker eigentlich so schwer, Fehler einzugestehen? Weil das ein Zeichen von Schwäche ist?
Nein. Ich habe deutlich gemacht, dass wir bei der Debatte um die Laufzeitverlängerung Fehler gemacht haben.
80 Prozent der Wähler nehmen der Union den Atomschwenk nicht ab. Sind die zu doof, um die Lauterkeit der Motive der CDU zu verstehen?
Die Katastrophe in Japan passierte kurz vor wichtigen Landtagswahlen. Da wird jeder Reaktion Wahltaktik unterstellt. Entscheidend ist daher, was wir jetzt, nach den Wahlen, tun. Und mit einem soliden und vernünftigen Ausstiegskonzept werden wir Vertrauen zurückgewinnen.
Ist es nicht nötig, eine so zentrale Frage wie den Atomausstieg von einem Parteitag entscheiden zu lassen?
Wir haben auf Bund- und Landesebene in Konferenzen mit hunderten von aktiven Mitgliedern diskutiert. Und der Parteivorstand hat mit ganz überwältigender Mehrheit für unser Energiekonzept gestimmt. Dies geschah vor der Koalitionsverständigung und der Kabinettsentscheidung. Ich glaube übrigens nicht, dass die Frage der Laufzeitverlängerung ein Grundpfeiler christdemokratischer Politik ist. Eine kluge Wirtschafts-, Energie- und Umweltpolitik gehört zum Markenkern der CDU - aber nicht, wie lange Reaktoren laufen.
Sie können diesen Schwenk doch nicht auf eine technischen Frage herunterdimmen. Die Union war 2000 doch ein erbitterter Gegner des Atomausstiegs.
Weil dem rot-grünen Ausstieg kein überzeugendes Umstiegskonzept zugrunde lag.
Erwarten Sie, dass die Bündnisgrünen im Bundestag für den schwarz-gelben Ausstieg stimmen?
Ich freue mich, wenn möglichst viele im Bundestag zustimmen. Denn wir werden unser ehrgeiziges Konzept umso besser umsetzen, je mehr konstruktiv mitarbeiten. Je mehr an der Energiewende mitarbeiten, anstatt vor Ort gegen den notwendigen Netzausbau oder Pumpspeicherwerke zu demonstrieren, umso besser. Die Grünen haben es in der Hand, sich an der Energiewende verantwortlich zu beteiligen.
Wenn die Grünen Ja sagen, dann rückt Schwarz-Grün näher?
Die Energiefrage ist wahrlich zu wichtig, um sie mit unnützen Koalitionsspielchen zu belasten.
Gilt die Sprachregelung eigentlich noch, dass Schwarz-Grün ein "Hirngespinst" ist?
Es gilt, dass wir den Erfolg der christlich-liberalen Koalition wollen.
Ist Schwarz-Grün noch ein "Hirngespinst"?
Das war die Antwort auf die Frage, welche Alternativen es zu Schwarz-Gelb gibt. Und die Antwort dazu ist doch klar: Wann immer Rote und Grüne die Möglichkeit haben, werden sie eine Koalition bilden, notfalls auch unter Mithilfe der Linkspartei. Insofern sollten wir uns Koalitionsdebatten sparen. Machen wir lieber unsere Arbeit.
Was hat die CDU denn aus der Koalition mit den Grünen in Hamburg gelernt?
Die Grünen sind aus der Verantwortung geflohen, als es ungemütlich wurde. Zudem haben wir in Hamburg in den Augen vieler Anhänger in der Schulpolitik grundlegende Prinzipien aufgegeben. Das hat uns sehr zu schaffen gemacht.
Schwarz-Grün wird es als nur noch geben, wenn die CDU ihr Tafelsilber wegschließt?
Man muss auf Schmerzgrenzen achten. Das gilt aber für jede Koalition.
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