: Herausgeschälte Song-Kerne
„Ein unglaublicher Ort“: In der Hamburger Elbphilharmonie hat der australische Musiker Nick Cave seine Solo-Europatour eröffnet. Zu erleben waren weniger wuchtig, konzentrierte Song-Versionen, das eine oder andere versemmelte Intro und ein wenig Koketterie
Von Dagmar Leischow
Auf dem Weg zur Elbphilharmonie. Die Mahatma-Gandi-Brücke säumen ungewöhnlich viele Menschen, Pärchen, Freund:innen, Einzelne, etliche halten Schilder hoch: „Karten gesucht“. An ihnen vorbei promenieren die Glücklichen, die im Vorkauf tatsächlich eins der heißbegehrten Tickets für Nick Caves allerersten Auftritt im poshen Konzerthaus in der Hamburger Hafencity ergattert haben. Einige tragen an diesem so sonnigen Frühabend Shorts und T-Shirt, manche, sie sind in der Minderheit, schickere Outfits. Alles an diesem Bild sagt: Schwarze Kluft ist, zumindest für die treue Cave-Gefolgschaft, anders als früher kein modisches Diktat mehr.
Immerhin, der australische Musiker selbst ist seinem Stil treu geblieben: schwarzer Anzug, Krawatte, Lackschuhe, naturgemäß alles ein bisschen eleganter geworden über die Jahre. Er ist eben kein junger Wilder mehr, obwohl er, etwa bei den Bad-Seeds-Shows, mit seiner Energie manch 30-Jährige ziemlich alt aussehen lässt. An diesem Abend in der Elbphilharmonie, ist aber alles anders. Nick Cave kommt solo, beinahe: Begleitet wird er nur vom Radiohead-Bassisten Colin Greenwood. Bevor er sich überhaupt an seinen Flügel gesetzt hat, brandet Applaus auf. Man begreift in diesem Augenblick, warum in Konzertkritiken so verlässlich das Hohepriester-Klischee heraufbeschworen wird, um die Aura dieses Künstlers zu beschreiben. Ja, es stimmt: Er hat Charisma.
Schon als er den Opener „Girl in Amber“ singt, scheint die Zeit stillzustehen. Das ist wunderschön, für viele ist es wohl ein magischer Moment – einer von vielen in diesen mehr als zwei Stunden. Berührend, wie sich Nick Cave mit seinem Bariton durch die Ballade „I need you“ barmt und fleht. Bei „Jesus on the Moon“ packt er am Schluss die Akkorde etwas härter an. Er spielt, er singt, er findet Gefallen daran, mit dem Publikum zu plaudern. Die Rolle des Nahbaren hat er inzwischen perfektioniert. Dass er das Intro von „Cinnemon Horses“ gleich zweimal versemmelt hat, lacht er einfach weg und heimst so nonchalant weitere Sympathiepunkte ein.
„Wir besuchen während dieser Tour nur Städte, die wir mögen“, kokettiert er. „Hamburg ist eine davon.“ Die Elbphilharmonie hält er für einen „unglaublichen Ort“. Klingt nach einer etwas durchsichtigen Lobhudelei, aber geschenkt. Weit faszinierender ist sowieso, wie der 67-Jährige hier aus teils kantigen Stücken deren Kern herausschält. „Ich bringe die Songs zurück zu ihrer Essenz“, erklärt er. „So präsentiere ich sie den Bad Seeds im Studio, bevor sie daraus etwas Monströses machen.“
Mit am besten illustriert diese Idee an diesem Abend „The Mercy Seat“: Bei dieser Nummer hat Colin Greenwood, der die Titel wohldosiert und feinsinnig untermalt, mal Pause, während Nick Cave dem Piano düster-grollende Töne entlockt. Sie fangen die Stimmung dieses Krachers von 1988 passgenau ein, nur eben weniger wuchtig. Als dieser Klassiker entstand, pflegte der Ex-Junkie noch einen exzessiven Lebensstil. Wer jemals einen Gig seiner Vorgängerband Birthday Party besucht oder die Dokumentation „Mutiny in Heaven: The Birthday Party“ gesehen hat, weiß: So gesittet wie in der Elbphilharmonie ging es bei Nick Cave nicht immer zu. Er hatte einst Spaß daran, live zu provozieren. Nicht selten mündete ein Konzert in einer Schlägerei.
Bis er genug von diesem Chaos-Tage-Feeling hatte. Im Gegeneinander hat er irgendwann keinen Sinn mehr gesehen, heute ist er auf der Suche nach dem Miteinander. Seitdem er zwei seiner vier Söhne verloren hat, ist er zusehends zugänglicher geworden. Für das Buch „Faith, Hope and Carnage“ zum Beispiel hat er mehr als 40 Stunden sehr persönliche Gespräche mit dem Journalisten Seán O’Hagan geführt. Ob Drogen, Familienleben oder Glaubensfragen: Alles kommt da auf den Tisch. Auch Blixa Bargelds abrupter Ausstieg bei den Bad Seeds.
Ohne ihn singt Nick Cave in der Elbphilharmonie „The Weeping Song“. Mal in der Rolle des Vaters, mal als Sohn. Das funktioniert erstaunlich gut. „The Ship Song“ preist er als seinen Hit an, dabei ebnete ihm eigentlich ein Duett mit Kylie Minogue 1995 den Weg zum Erfolg: Bis heute ist „Where the wild Roses grow“ die mit Abstand erfolgreichste Single, für die jedoch im Soloprogramm kein Raum ist. Stattdessen covert Nick Cave in der Zugabe Leonard Cohens „Avalanche“. Dieses Lied, erzählt er, sei für ihn als Teenager immens wichtig gewesen. Es stillte seine Sehnsucht, die Melancholie dieses Titels war schlichtweg unwiderstehlich für ihn. Nun jongliert er selbst souverän mit melancholischen Songs wie „Into my Arms“.
Ganz am Schluss animiert er das Publikum, den Refrain dieses Stücks mitzusingen. Eine recht distinguierte Geste. Nostalgiker:innen könnten sich fragen: Wo ist das Brachiale geblieben? In Hamburg feiert man Nick Cave jedoch lieber mit Standing Ovations. Zu Recht: Dieser Auftritt ist wirklich von der ersten Sekunde an unter die Haut gegangen.
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