Henning Harnisch: Schütteln und Backen
■ Wer die Seele des Basketball sucht, begebe sich zum wilden Bruder der NBA
Was war zuerst da, das schlechte Wetter oder das Footballteam Berlin Thunder? Am Samstag haben sich die beiden auf jeden Fall gesucht und gefunden. Heute scheint die Sonne, und bevor ich mich auf ein schwieriges Thema einlasse, soll lieber die zehnjährige Hanna Maier, Zuschauerin dieser Veranstaltung, die Sportart American Football zusammenfassen: „Die liegen ja sowieso nur auf'm Haufen, sonst passiert da ja nüscht.“
Ich schwebe weg in die ABA, in die American Basketball Association, in eine Liga, die jetzt noch groovt, mehr als zwanzig Jahre, nachdem sie von der NBA geschluckt wurde.
In den Siebzigern hatte sie ihre Hochzeit, damals, als die Afros größer als der Mond waren, Koteletten ganze Gesichter verschluckten und Coaches und Manager schmieriger aussahen als der Chevy-Autoverkäufer auf Kanal 47.
Was war das für eine Liga! Manager und Coaches wechselten schneller die Arbeitsplätze als Spieler ihre Groupies, der Ball glänzte amerikanisch-farbig rot, weiß und blau, und Anekdoten über Spieler wie James Williams, der sich, nach Curtis „Superfly“ Mayfield, „Fly“ Williams nennen ließ, verdeutlichen den leicht exzentrischen Charakter der ABA mit ihren leicht exzentrischen Charakteren.
Der Coach von „Fly“ kritisierte, als sein Team mit 25 Punkten hinten lag, die eigensinnige Spielweise und forderte mehr Mannschaftsspiel. Auf die folgende, eher rhetorisch gemeinte Frage des Trainers, ob jemand noch etws zu sagen hätte, antwortete „Fly“: „Yeah, man, just give me the damn rock and I'll take care of it.“ Soviel zum Thema Mannschaftssport.
Aber wir sind in der ABA, hier wurde funky Basketball gespielt, right, „Fly“? Right! Wir verfolgen „Fly“ auf seinem Weg zum Korb, er stürmt sozusagen auf den Korb zu, niemand kann ihm folgen, eine klassische Eins-gegen-null-Fastbreak-Situation, alles ist möglich: Korbleger, Dunking. „Fly“ springt ab, aber was macht er jetzt, anstatt den Ball in den Korb zu legen: „Fly“ dreht sich lieber einmal um 360 Grad, verliert dabei leider die Kontrolle über seinen Körper, schafft es aber immerhin noch, den Ball Richtung Korb wegzuwerfen. Leider fliegt der Ball über den Ring und über das Brett ins Aus. Aber: Nice try, „Fly“!
Was macht derweil Marvin Barnes, der Marvin Barnes, der seine Trainer zur Verzweiflung trieb, weil er regelmäßig das Training und die Teamflüge versäumte, der aber auch regelmäßig in seinem Rolls Royce die Kinder von der Straße einsammelte, um mit ihnen Eis essen zu gehen? Was macht Marvin Barnes da, kurz vor der Halbzeit, als er den Ball fünf Meter vom Korb entfernt erhält und niemand da ist, der ihn auf dem Weg zu zwei leichten Punkten stoppen könnte?
Yes, Marvin, das ist smooth, lieber drei Schritte zurückdribbeln und einen Dreier werfen. Yes, Marvin!
Apropos Dreier, neben Basketball-Blaxploitation und farbigen Bällen steht die ABA auch für innovative Regeländerungen, wie z.B. die Einführung des Dreipunktewurfs oder des Dunking-Wettbewerbs. Das schnelle, aggressive Spiel der ABA war aufregend anzuschauen und wurde von extrem kreativen und athletischen Flügelspielern getragen.
Dr. J war der Beste der high-flying, fast-breaking Forwards in der ABA. Dr. J war so gut, daß er mit Thomas Edison, dem Erfinder, verglichen wurde, da er jeden Abend in der Halle einen neuen Move erfand.
Zwar schluckte die NBA letztendlich ihren wilden Bruder, aber Dr. J und David-auch-er-flog-in-der-ABA-Thompson sind die Namen, die Michael Jordan nennt, wenn er nach Flugkapitänen gefragt wird, die für seine eigene Ausbildung als Fluglehrer von Bedeutung waren.
Die ABA, das waren die Siebziger. Natürlich bin ich froh, nicht mit schmierigen Managern und ihren Chicks bei schlechtem Koks verhandeln zu müssen, aber einen Tag mit den New Jersey Nets und Dr. J, einen Tag mit Dr. J, der den farbigen Ball in seinen riesigen Hände hält und sich auf dem Weg zu einem neuem Move befindet, das wäre nicht schlecht, right, „Fly“?
Right!
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