Helmut Lehnert macht Theater: Ausgebrochen aus der Anstalt
Nach 32 öffentlich-rechtlichen Jahren macht Helmut Lehnert seit Mai wieder Theater - wie schon als Student. Das träge ARD-System hat den Kreativen zermürbt.
BERLIN taz | Sein Theater stand an der Spree, in einem Kreuzberger Hinterhof, und Helmut Lehnert nannte es "Theater an der Mauer", damals, in den 70er-Jahren. Die eigene Bühne blieb ein kurzer Traum für den Studenten der Theaterwissenschaften aus dem hessischen Marburg, die Pleite war da bevor die Zuschauer kamen. Aus dem kurzen Traum wurde ein langer, der sich über 30 Jahre versteckt hielt, bis er schließlich wieder hervorbrach und Lehnerts Leben mit 58 Jahren noch einmal umkrempelte.
Die öffentlich-rechtliche Karriere des Helmut Lehnert, der schon mit 16 in Marburgs Diskotheken aufgelegt hatte, begann als Moderator des "SFBeat"; am 1. Mai endete sie nach 32 Jahren: Lehnert verließ den Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) und ist nun Künstlerischer Leiter der Berliner Kleinkunstbühnen "Tipi" und "Bar jeder Vernunft".
Für Lehnert ist der fliegende Wechsel eine Rückkehr und ein Versuch. Aber auch der Abschied von einem möglichen Posten, der für ihn maßgeschneidert war: Zum 1. Mai hat der RBB bei den Leitungspositionen die Trennung in Fernsehen und Radio aufgehoben, in der Hauptabteilung "Neue Zeiten" sind Radio Eins, Fritz und die Fernsehunterhaltung zusammengeflossen.
Der Posten, den er nicht antrat und der vorige Woche mit dem WDR-Mann Heiner Heller besetzt wurde, war eine späte Wertschätzung für eine schillernde Figur in diesem glamourarmen Sender. Die intelligenten und trotzdem massenkompatiblen Wellen Radio Eins und Fritz sind seine Erfindungen.
Wegen seiner Erfolge wurde Lehnert zum Fernsehen befördert. Als "Programmbereichsleiter Film und Unterhaltung" etablierte er Köpfe wie Kurt Krömer und Jörg Thadeusz im muffigen Programm. Doch auch wenn der auffällige Asket mit der Existenzialistenbrille die Statur eines Langstreckenläufers besitzt, ließ er sich vom Sitzungsmarathon des ARD-Anstaltssystems zermürben: "Wenn ich alleine bin, kann ich supergut denken. Aber von morgens bis abends Sitzungen zu machen, dafür bin ich einfach nicht der Mensch."
Im Herbst kam dann die "rote Karte", wie Lehnert es nennt: Notfall, Intensivstation, Krankenbett. Zeit zum Nachdenken. Sein erster Gedanke: "Das war knapp", der zweite förderte den lang versteckten Traum vom Theater zutage. Die RBB-Interviewsendung "Thadeusz" sowie die schwächelnde Talkshow "Dickes B" wird Lehnert aber bis zum Jahresende weiter betreuen. Der letzten Livesendung am Freitag - im "Tipi" - blieb Lehnert fern.
Radio Eins brauchte vier Jahre, bis es von den Hörern angenommen wurde. Mindestens einmal stand Lehnert als Wellenchef vor dem Abschuss, sollte einen Aufpasser an die Seite bekommen, protestierte beleidigt und setzte sich schließlich durch.
Lehnerts Erfahrung aus dieser Zeit: "Wenn man etwas Neues machen will, sind erst mal alle begeistert. Und wenn es losgeht, fallen sie in Schockstarre und machen weiter wie vorher."
Zum Abschied vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk fordert Helmut Lehnert von seinen ARD-Kollegen das ein, was er immer versucht hat: Mut zum Experiment, auch zum Zoff ("Wenn Oliver Pocher der Letzte ist, über den man sich aufregt, wo sind wir da gelandet?") - und klare Kante gegenüber den Privaten. "Zynismus und Mutlosigkeit" herrschten in den Redaktionen, "je angespannter die Lage, desto mutloser werden die Leute, anstatt dass es umgekehrt ist". Niemand in der ARD außer ihm hätte Krömer und Thadeusz beschäftigt, ärgert er sich, "und wenn das schon als Mut bezeichnet wird … Thadeusz ist der Hans-Joachim Kulenkampff unserer Zeit, aber wenn ich das in einer ARD-Sitzung sage, lachen die alle nur."
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