: Helmut Kohl will richtig abfahren
■ Steuererhöhungen angekündigt/ CDU-Parteitag läßt Rühe durchfallen: Eggert neuer Kohl-Vize
Düsseldorf (taz/AFP) – „Das ist die Stunde der Wahrheit“, antwortete CDU- Chef Helmut Kohl gestern in Düsseldorf auf die selbstgestellte Frage: „Warum sagst du das jetzt?“ Gemeint waren die für 1995 angekündigten Steuererhöhungen, zu denen sich der Parteivorsitzende und der CDU-Bundesvorstand unmittelbar vor dem Düsseldorfer Parteitag der CDU durchgerungen hatten.
Die Stunde der Wahrheit schlug dann auch völlig überraschend für den als Kohl- Kronprinz gehandelten Verteidigungsminister und ehemaligen Generalsekretär der Partei, Volker Rühe. Er fiel am Abend bei der Wahl der Kohl-Stellvertreter mit nur 502 Stimmen durch. Der gegen den Willen der Bonner Parteizentrale antretende sächsische Innenminister Heinz Eggert erhielt mit der Alibikandidatin (Frau und aus dem Osten) Angela Merkel zusammen 762 und damit die höchste Stimmenzahl bei der Stellvertreterwahl. Zu ihnen stoßen Norbert Blüm (672 Stimmen) und Erwin Teufel (562 Stimmen). Eggert, als Pfarrer in der Ex-DDR lange Stasi-verfolgt, gilt als kantiger, ehrlicher Mann der Ost-Basis der Partei. Er profilierte sich als Reformer gegen die Blockflötenfraktion der früheren Ost-CDU. Rühe hatte sich als Generalsekretär zum Ärger der Ossis als arroganter Bonner Saubermann aufgespielt.
Zuvor hatten die Delegierten Kohl um ein Quentchen weniger triumphal als vor zwei Jahren wieder zum Parteivorsitzenden gewählt. 856 von 956 Anwesenden stimmten für ihn, 80 lehnten Kohl ab. 1990 hatte er nur 14 Gegenstimmen kassiert. Generalsekretär Hintze wurde mit 742 Stimmen im Amt bestätigt.
1995, so hatte Kohl angekündigt, werden „zur Bewältigung der finanziellen Erblast Einnahmeverbesserungen notwendig“. Der Sparkurs für die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden soll konsequent fortgesetzt werden – für den Fall, daß das scheitere, deutete Kohl „Belastungen für den Bürger schon bald“, gegebenenfalls früher und höher an. „Jetzt ist die Zeit für Abfahrtslauf und nicht für Slalom“, machte Kohl sich selber Mut. „Es gab immer Punkte, an denen ich vorangehen mußte“, lobte sich der Kanzler, räumte aber auch Fehler ein. Allerdings sei „die wirkliche Lage erst nach und nach ans Tageslicht getreten“. Deswegen werde der Aufbau in Ostdeutschland „länger dauern und teurer werden, als wir dies Mitte 1990 annehmen konnten“.
Generalsekretär Peter Hintze setzte sich in seiner Rede mit dem rechtsradikalen Wählerpotential auseinander. „Tiefe Verunsicherung über die persönliche Situation im Blick auf die eigene wirtschaftliche und soziale Lage“ ist für ihn das Hauptmotiv, eine rechtsradikale Partei zu wählen. Die große Mehrheit könne von den Volksparteien zurückgewonnen werden, wenn diese „erfolgreich der Angst dieser Wähler begegnen“.
Für Hintze ebenso wie für Unions- Fraktionschef Wolfgang Schäuble folgt daraus die Änderung des Asylrechts. Schäuble widmete auch auf dem Parteitag einen großen Teil seiner Rede dem Asylthema. Er sprach sich ausdrücklich für eine Senkung der Sozialhilfe für Asylbewerber aus. Ein Asylbewerber dürfe wegen der Vorläufigkeit seines Status keine Integrationsleistungen beziehen.
FDP-Parteichef Lambsdorff hat Kohls Pläne für Steuererhöhungen ab 1995 ausdrücklich begrüßt. Die Entscheidungen über Einzelheiten müßten nächstes Jahr getroffen werden, um eine lange Diskussion mit schädlichen Auswirkungen auf den Aufschwung in Ostdeutschland zu vermeiden, sagte er. Es werde jedoch mit der FDP keine Steuererhöhungen geben, wenn nicht zuvor weitere Einsparungen beschlossen würden. Seiten 3 und 10
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