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Helfen, bevor der Winter beginnt

Zehntausende Georgier wurden von aufständischen Abchasen vertrieben / Flüchtlinge campieren unter lebensbedrohenden Umständen in den Bergen / Bonn schickt erstes Nothilfepaket  ■ Von Werner Paczian

Tbilissi/Köln – Aufgrund der dramatischen Lage Zehntausender Kriegsflüchtlinge in Georgien will das Bonner Auswärtige Amt am Dienstag rund 140 Tonnen Hilfsgüter in die ehemalige Sowjetrepublik fliegen lassen. Für den Transport der Decken, Zelte, Öfen und Winterkleidung stehen in Köln drei russische Antonow- Flugzeuge bereit. In Georgien soll das Material per Helikopter in nordwestliche Gebirgsregionen gebracht werden, wo bereits winterliche Temperaturen herrschen.

Immer noch strömen aus der Provinz Abchasien Vertriebene Richtung Norden in den Kaukasus, von wo ein Weiterkommen kaum möglich ist. Die Bergstraße von Chuberi ins tieferliegende Landesinnere ist in miserablem Zustand und von Autos blockiert. Während das Internationale Rote Kreuz Notrationen an die Flüchtlinge verteilt, versuchen rund 25 überwiegend ukrainische Hubschrauber, wenigstens Frauen und Kinder zu evakuieren.

Vor allem in den schwer zugänglichen Bergen im Norwesten Georgiens campieren die Flüchtlinge aus der abtrünnigen „Republik Abchasien“ unter lebensbedrohenden Umständen. Staatspräsident Schewardnadse beklagte vor wenigen Tagen Hunderte Kälte- und Hungertote und warf den Abchasen „ethnische Säuberungen“ vor. Bis Anfang Oktober hatten diese fast die gesamte Provinz militärisch erobert und eine Flüchtlingswelle ausgelöst.

„Seitdem wurden mindestens 100.000 Menschen zusätzlich vertrieben, insgesamt muß Georgien jetzt eine halbe Million Flüchtlinge verkraften“, berichtet Ingo Marenbach, Leiter der Auslandsabteilung beim „Arbeiter-Samariter- Bund“ (ASB) in Köln. Der ASB hat im Auftrag der Bundesregierung und der EG in den vergangenen Monaten humanitäre Hilfe für Georgien abgewickelt und ist auch für die jetzt geplante Lieferung verantwortlich.

Die Versorgung der notleidenden Bevölkerung ist seit Wochen zu einem gefährlichen Teufelskreis geworden. Je größer die Not der Menschen wird, desto höher steigt die Kriminalität. „Wegen der Gefahr von Überfällen ist jede Lkw- Fahrt über Landstraßen mit einem erheblichen Risiko verbunden“, berichtet ASB-Experte Marenbach. „Deswegen müssen wir Sicherheitskräfte anheuern, aber ein Teil der geeigneten Leute kämpft irgendwo in Westgeorgien.“

Auch in der Hauptstadt Tbilissi, einst blühender multikultureller Schmelztiegel aus über einhundert Volksgruppen, hat die Zahl bewaffneter Übergriffe zugenommen. Trotz nächtlicher Ausgangssperre sind auf den Straßen Gewehrsalven oder einzelne Schüsse zu hören. Erfolglos waren bisher die Bemühungen von Oberbürgermeister Konstantin Gabaschwili, Tbilissi zur waffenfreien Zone zu machen. „Wer außer den offiziellen Sicherheitskräften braucht denn eine Pistole auf der Straße?“ fragt der Linguistik-Professor, der nach einer Schießerei in der Nacht oft persönlich zum Tatort rast – „Um sicherzustellen, daß meine Polizisten sich nicht von irgendwelchen Mördern schmieren lassen.“

Mit jedem zusätzlichen Flüchtling, der sich bis in die georgische Metropole durchgeschlagen hat, wird Gabaschwilis Aufgabe schwieriger. Mindestens 500.000 GeorgierInnen hausen derzeit in Notunterkünften in Tbilissi ohne ausreichende Nahrung und medizinische Versorgung. „Trotz westlicher Hilfe ist unser Gesundheitswesen kollabiert“, bestätigt der Arzt Dr. Thomas Kereselidse.

In den Krankenhäusern fehlen nicht nur Medikamente, sondern auch einfache Materialien wie Verbandsstoffe. „Zur Zeit finden für das Fünf-Millionen-Volk praktisch keine Operationen statt“, berichtet ASB-Helfer Ingo Marenbach. „Deswegen sind die Spitäler fast leer – unter diesen Bedingungen stirbt es sich zu Hause besser.“

Obwohl derzeit zu Schewardnadse keine politische Alternative in Sicht ist, gerät der Präsident mit jedem neuen Bürgerkriegstag mehr unter Druck. „Wenn er uns nicht zurückbringen kann, muß er abtreten“, faßt die 40jährige Luara Achobadse die Stimmung unter vielen Flüchtlingen zusammen. Mit ihrem Mann und den drei Kindern ist sie aus der abchasischen Schwarzmeerstadt Gagra nach Tbilissi geflohen. „Als ich in meiner alten Wohnung angerufen habe, hat irgendein Abchase abgenommen.“

Trotzdem hat die Frau die Hoffnung nicht aufgegeben, „wieder in Gagra so zu leben wie früher“. Die Führung in Tbilissi scheint sich dagegen mit dem Verlust der Provinz Abchasien abzufinden. Vergangene Woche berichtete das Genfer UN-Departement für humanitäre Angelegenheiten inoffiziell, die georgische Regierung arbeite an Plänen, Flüchtlinge in 32 verschiedenen Distrikten des Landes wieder anzusiedeln.

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