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Archiv-Artikel

Heizpilz Spaltpilz

Ein Lifestyle-Requisit erhitzt die Köpfe der Deutschen – und spaltet selbst das taz.mag wie ein Schisma: Heizpilze – sind sie eine Geißel oder ein Segen?

Herrlich! Es gab sie zuerst, wo es die Natur besonders böse meint, um die Mediterranisierung des Lebensstils zu sabotieren. Also Geselligkeit bei Caffè Latte, Pinot Grigio, Tomatensalat mit Mozzarella und Pasta überhaupt. Der europäische Mensch hat das ja im Süden gesehen – an der frischen Luft ist Dolce Vita, man sitzt nicht in miefigen Stuben und Gastzimmern.

Schön, das. Man riecht auch besser. Aber im Norden? In Reykjavik sind Heizpilze erstmals vor sieben Jahren gesehen worden – total hippes Mitbringsel eines Klubbesitzers, der keinen Anschluss an die landestypischen Geysire fand. Schweden und Norwegen und Dänemark haben keine heißen Wasserquellen – aber fast alle Lokale Heizpilze in den kühleren Jahreszeiten – also von September bis Mai. Man sitzt also auf dem Kopenhagener Platz aller Plätze, in der Nähe zum königlichen Schloss, trinkt Ramlösa (schwedisches Wasser), Kaffee und die Begleitung ein Carlsberg – die Temperatur schwankt im Januar zwischen minus acht und plus einem Grad, aber man sitzt draußen. Wenn das Wetter uns nicht passt, muss es unterworfen werden. Heizpilzbewärmt, erinnern wir uns an kindliche Situationen, als man Bauchweh hatte, einem überhaupt kalt war und man eine Wärmflasche gereicht bekam.

In Kopenhagen wie Oslo oder Bergen oder Örebro bekommt man in solchen Caféhäusern außerdem noch eine Wolldecke mit: So sind nicht nur die Körperteile bis zur Schulter frostfrei, auch der Schoß und die Beine sind eingehüllt. Das gefällt. Und soll fragwürdig sein? Der fiesen Ökobilanz wegen? Und weil’s teuer in der Anschaffung ist? Ja, dann ist das so. Man gönnt sich sonst ja auch was. Warum nicht Wärme, um dem Wetter zu trotzen, draußen? Beim Frisör würde man ja auch nicht sagen, bitte, Figaro, verzichten Sie auf den Fön, meine Frisur trocknet doch auch so? Und das Argument ernst genommen, hieße doch, auch in Supermärkten die Wohltemperierung einzustellen – Kühlung ist doch für jedes Lebensmittel besser.

Heizpilze sind Widerstandsaccessoires. Mittel gegen die Kälte, gegen das Stubenhockerdasein. Hinaus aufs Land? Quatsch. Geht mal nach draußen spielen. Heizpilze braucht man auch bei uns. In Berlin. Leider gibt es noch zu wenige. In solche Lokale gehen wir nicht mehr. Die wollen einen einsperren, vollmiefen, aussperren von der Perspektive des sitzenden Beobachters, der die ganze, nicht nur die Kneipenwelt im Überblick behält. In Schweden darf man in keiner Kneipe mehr rauchen. Aber draußen geht’s – und pfiffige Wirte haben schöne Geräte montieren lassen, auf dass die Gäste sich nicht erkälten. Rauchen soll man sowieso lassen? Sie Zwangspädagoge, der mahnen will und doch nur strafen möchte!

Neukölln – der Berliner Slum, der in Wirklichkeit eine Konsumavantgardetopografie darstellt – ist das Viertel, in dem die Satellitenschüssel populär wurde. Dort hat man neuerdings auch für den Alltag diese Gasbrenner eingeführt – gesehen mitten im Rütli-Schul-Karree. Für den Balkon. Die Geranien blühen dort nun besser. Heizpilzfreunde mögen also Blumen, ist doch klar.

JAN FEDDERSEN

Scheußlich! Es werden immer mehr. Und zwar nicht nur in Lokalen mit Trottoirbespielung, sondern inzwischen auch auf Privatbalkonen. Bis vor kurzem konnte man noch meinen, es handele sich um einen Notbehelf für Großveranstaltungen an kalten Tagen und in eisigen Nächten, wenn der Ansturm der Kneipengänger so groß ist, dass in den Innenräumen gar nichts mehr geht. Doch jetzt ist Mai und der Frühling endlich da – und die Outdoor-Heizungen werden einfach nicht mehr weggeräumt. Es könnte ja mal ein kühles Lüftchen wehen und da würde womöglich die Kundschaft maulen, die mittlerweile Toscana-Feeling rund um die Uhr und das ganze Jahr lang verlangt – oder wegbleibt. Es ist zum Kotzen.

Es ist gar nicht nur die miserable Ökobilanz, die einen angesichts dauerglühender Heizpilze auf die Palme treibt. Es ist diese schnäppchengeile, geistlose Rundum-versorgt-Gesellschaft. Die von allem immer das Optimum will, und zwar gleichzeitig: frische Luft wie in der Natur, aber Temperaturen wie unter Vollklimatisierung; mit Freunden einkehren, aber trotzdem mitten auf dem städtischen Laufsteg sitzen und die Passanten durchscannen; frische Himbeeren im Januar. Ein armseliger Jetset, der für drei freie Tage schnell auf eine Sonneninsel jettet, weil das billiger ist als ins Sonnenstudio zu gehen und weniger unwägbar als aufs Land zu fahren. Und der auf das Piazza-con-latte-Gefühl nicht verzichten kann, wenn er mal daheim bleiben muss. Der gar nicht merkt, wie er sich mit Schund abspeisen lässt.

Die Folge ist ein absurder Verdrängungskrieg, der vor unseren Haustüren stattfindet, genauer: auf den Bürgersteigen. Mit dem Heizpilz als Waffe. Wer sich einmal die Mühe macht, mit Cafébetreibern zu sprechen, bekommt spannende Geschichten zu hören. Oft geht es in ihnen um die finanzielle Existenz. Nehmen wir – nur zum Beispiel – die Lange Reihe in Hamburg, eine dieser schwer in Mode gekommenen Caffè-latte-Meilen, auf denen man vor lauter Gartenstühlen kaum noch laufen kann. Bescheint die Sonne die Nordseite, ist dort jeder Stuhl besetzt, scheint sie auf beide, machen auch die Cafés auf der anderen Seite ihr Geschäft. In den Lokalen selbst sitzt kein Mensch mehr, egal wie gut dort das Angebot ist.

Der billigste Plastikstuhl neben Hundepisse, aber unter einem Heizpilz bringt mehr Umsatz als ein bequemer Sessel in schönem Ambiente mit bester Kuchentheke. Mit der Folge, dass die Lokale unmittelbar vom Umfang der ordnungsamtlich genehmigten Außenbestuhlung abhängig sind. Kein Wunder, dass geschummelt wird, was der Bürgersteig hergibt – und die Wirte sich gegenseitig bei den Ordnungsämtern anschwärzen.

So geht’s halt zu in der Welt? Leider. Aber KönigIn KundIn kann ja vielleicht bisweilen statt den Heizpilz anwerfen zu lassen den eigenen Grips einschalten und sich überlegen, wem er oder sie das Geld gibt – und wofür! Ob für ein gelungenes Preis-Leistungs-Verhältnis oder nur dafür, stumpf in der Sonne oder unter einem Heizpilz zu dösen. Wem das reicht: Mahlzeit, bitte schön!

REINHARD KRAUSE