piwik no script img

Heitmeyer-StudieDie Ost-West-Kluft

Mehr Nationalstolz und mehr Islamfeindlichkeit - in Deutschland existieren immer noch harsche Vorurteile. Gerade der Nationalstolz kann jedoch auch negative Konsequenzen haben.

Zumindest beim Fußball kennt der Nationalstolz der Deutschen keine Grenzen. Bild: dpa

Auch fast zwanzig Jahre nach dem Mauerfall zeigt sich Deutschland als ein geteiltes Land: Fast drei Viertel aller Ostdeutschen fühlen sich gegenüber den Westdeutschen benachteiligt. Mehr als 77 Prozent der Ostdeutschen glauben zudem, dass sie materiell weniger gerecht behandelt werden. Und 59 Prozent der Menschen im Osten meinen, dass beide Gesellschaften immer noch nicht zusammengewachsen sind. Zu diesen Ergebnissen kommen 17 Sozialwissenschaftler um den Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer.

Bei der diesjährigen Pressekonferenz zu der Langzeituntersuchung "Deutsche Zustände" betonten die Forscherinnen und Forscher die Unterschiede zwischen Ost und West in Bezug auf Vorurteilskomplexe wie etwa Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Islamophobie und die Abwertung von Obdachlosen. Diese Phänomene der sogenannten gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit sind in Ostdeutschland seit Jahren deutlich häufiger anzutreffen als im Westen. Einzige Ausnahme: der klassische Sexismus. Frauenfeindliche Einstellungen sind im Westen stärker zu finden als im Osten. Dies- und jenseits der vormaligen deutsch-deutschen Grenze sind aber Antisemitismus und Homophobie gleichermaßen deutlich ausgeprägt. Das gilt auch für die Verteidigung von Etabliertenvorrechten sowie der Abwertung von Behinderten und Langzeitarbeitslosen.

Während Rassismus, die Verteidigung von Etabliertenvorrechten und die Abwertung von Langzeitarbeitslosen im Vergleich zum Vorjahr zunahmen, sanken sie bei den restlichen sieben Vorurteilskomplexen. Auffällig ist, dass die Islamophobie und die Abwertung von Obdachlosen im Osten häufiger vorkamen, zugleich sanken sie im Westen. Beim Antisemitismus ist das ähnlich. Die Heitmeyer-Studie bestätigte tendenziell eine Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung der vergangenen Woche, wonach der Antisemitismus im Westen meist stärker ist als im Osten (die taz berichtete).

Beachtenswert ist angesichts der Ost-West-Kluft weiter, dass der Nationalstolz der Studie nach seit 1996 stetig in ganz Deutschland steigt. "Allerdings, die wachsende Identifikation mit dem eigenen Land und der wachsende Nationalstolz haben auch sehr bedenkenswerte negative Konsequenzen", warnte der Wissenschaftler Ulrich Wagner. "Sie gehen einher mit der Ablehnung derjenigen, die nicht bereits auf den ersten Blick dazugehören." So führe empirisch gesehen "Nationalstolz zu mehr Fremdenfeindlichkeit", auch wenn dies vielen in der Politik nicht gefalle. Wer besonders stolz auf seine Nation sei, neige im Schnitt auch stärker zu Antisemitismus und Islamophobie als der Rest der Bevölkerung. "Unser Fazit aus diesen Ergebnissen", so Wagner, "ist: Vorsicht mit allen Formen von nationaler Identifikation, wenn Deutschland und die Deutschen weltoffen auftreten wollen."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • RF
    Reiner Fischer

    Als Deutscher, der in Sachsen geboren wurde, in der DDR gelebt hat und heute in Ostdeutschland wohnt, möchte ich nach der Lektüre Ihrer drei Artikel vom 04./05. Dezember 2008 über das Thema „Ost-West“ ein paar eigene Gedanken äußern. Wie in vielen Fällen kann man davon ausgehen, daß die jeweiligen Akteure, hier z.B. die 17 Sozialwissenschaftler um den Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer, mit Sicherheit gute Gründe vorweisen, die die Ergebnisse ihrer Studie (schon wieder mal eine Studie!) hieb- und stichfest belegen können. Aber wichtig sind außerdem Herkunft, Standpunkt und Erfahrung des Betrachters oder Fragestellers, und es existieren oft viele verschiedene Realitäten und Wahrheiten.

     

    Erster Gedanke: In der Studie treffen negativ bewertete Eigenschaften der Deutschen viel stärker auf Ost- als auf Westdeutsche zu, als da sind: Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Islamophobie, Abwertung von Obdachlosen, Antisemitismus, Homophobie. Das ist sehr, sehr schlimm und schmerzt. Ich finde keine plausible Erklärung dafür, außer der, daß sich Westdeutsche regelmäßig ihre „Wir-sind-schon-OK“-Haltung bestätigen müssen. Die genannten Eigenschaften besitzen schließlich auch West-, Nord- und Süddeutsche. Um sich damit auseinanderzusetzen, sollten einseitige statistische (Befragungs-)Methoden nicht hilfreich sein.

    (Wie steht es mit der Statistik zu anderen menschlichen und gesellschaftlichen Eigenschaften: ausgeprägte Neigung zu Arroganz und Karriere, Grad der Pflege des Egoismus des Individuums, Achtung anderer Kulturen, Toleranz gegenüber östlichen Völkern, Recht auf Arbeit und Bildung der ärmeren Bevölkerung?)

     

    Zweiter Gedanke: Wirkliche oder eingebildete Benachteiligung und Diskriminierung der Ostdeutschen hängen damit zusammen, daß nicht nur materielle Unterschiede für das Leben der Menschen zugrunde liegen, sondern daß sich eine breite westdeutsche Öffentlichkeit von dem deutschen Gebiet jenseits von Elbe und Werra umfassend distanziert. Große Kreise der ehemaligen BRD-Bevölkerung setzen den „Staat DDR incl. Diktatur, Staasi, Trabi, Dialekt“ mit der eigentlichen Bevölkerung, Menschen wie du und ich, gleich und können sich nicht vorstellen, daß die Menschen in der DDR ungleich mehr unter dem System zu leiden hatten als einige westliche Besucher, die an den Grenzen ab und an einige Schikanen der Grenzer zu erdulden hatten. Die positive Neugier der Bewohner der alten Bundesländer an menschlichen Kontakten, für Geographie und Historie der neuen Bundesländer ist im allgemeinen heute leider eher unterentwickelt. Etwas traurig für ein Zusammenwachsen, aber in absehbarer Zeit nicht zu ändern.

     

    Dritter Gedanke: Die Auseinandersetzung des westlichen deutschen Landesteils mit der gesamtdeutschen Geschichte, der europäischen Nachkriegsentwicklung und dem Zusammenwachsen des heutigen Europas ist vermutlich immer noch stark dominiert vom Bewußtsein des eigenen (westdeutschen) Wertes, des geschaffenen Wohlstandes, einer funktionierenden Demokratie usw. Bei vielen ist noch nicht angekommen, daß die unverdientermaßen „gemütliche“ Zeit vorbei ist. Neue gesellschaftliche Verhältnisse erfordern neue Ideen und Veränderungen. Und eines sollte aus allen deutschen Köpfen endgültig verschwinden: die Überheblichkeit gegenüber anderen Volksteilen oder Völkern aus Gründen, die ins Klischee der Vergangenheit gehören. Wir Deutschen leben in einem traumhaften Frieden mit unseren Nachbarn, und das sollte uns Verpflichtung sein, diesen Zustand zu erhalten und zu befördern, auf allen Gebieten.

     

    Vierter Gedanke: Wir Deutschen in West und Ost sollten weniger derartige Studien verfassen und lesen oder kommentieren, sondern das geschriebene Wort unserer Schriftsteller wie Heinrich Böll, Stefan Heym, Siegfried Lenz, Christa Wolf und vieler anderer lesen. Da erfährt der Leser viel mehr von deutschen Befindlichkeiten und Zusammenhängen als anderswo. In unseren östlichen Breiten wurde Heinrich Böll zeitweise unter dem Ladentisch gehandelt und privat von Hand zu Hand weitergereicht Aber: wer liest im Westen schon Stefan Heym, den vor geraumer Zeit idiotischerweise oder vorübergehend als „stasibehaftet“ bezeichneten Vertreter der bösen Linken? Da haben wir wieder das Dilemma!