piwik no script img

Archiv-Artikel

Heißer Winter in Kopenhagen

Bei gewalttätigen Ausschreitungen in einem Migrantenviertel werden Dutzende Personen verletzt und 271 verhaftet. Auslöser der Krawalle ist ein Jugendzentrum, das der obskure Eigentümer, eine christliche Gemeinschaft, räumen lassen will

AUS STOCKHOLMREINHARD WOLFF

Zu den schwersten gewaltsamen Auseinandersetzungen seit vielen Jahren ist es am Samstag in der dänischen Hauptstadt gekommen. Was im Kopenhagener Stadtteil Nørrebro am Nachmittag als friedliche Demonstration für die Erhaltung eines Jugendzentrums begonnen hatte, endete einige Stunden später mit Dutzenden Verletzten aufseiten von Polizei und DemonstrantInnen und 271 Festnahmen.

Darüber, wie es dazu kam, gehen die Meinungen auseinander. Die Polizei behauptet, sie sei mit Steinen und Flaschen beworfen worden und habe sich wehren müssen. Die Veranstalter der Demonstration werfen den Ordnungskräften vor, plötzlich vermummte DemonstrantInnen aus der Menge herausgegriffen zu haben. In Dänemark besteht ein Vermummungsverbot. Fünf Gerichte machten gestern Sonderdienst, um die Festgenommenen – darunter TeilnehmerInnen aus der anarchistischen Szene Deutschlands, Norwegens und Schwedens – abzuurteilen.

Die Gewalttätigkeiten könnten der Beginn eines heißen Winters in Kopenhagen sein. Es geht um das „Ungdomshus“ im Jagtvej 69. 1982 wurde dieses Haus von der Stadt Kopenhagen mehreren Jugendinitiativen für die Einrichtung eines Treffpunkts zur Verfügung gestellt. Bald wurde daraus ein allgemeines Jugendzentrum im Stadtteil Nørrebro, der sich im Lauf der Jahre mehr und mehr zu einer von MigrantInnen bewohnten Gegend entwickelte.

Nach einem Brand Mitte der Neunzigerjahre wollte sich die Stadt Kopenhagen die erforderlichen Instandsetzungskosten sparen und verkaufte das Haus trotz heftiger Proteste an eine private Grundstücksfirma. Diese verkaufte es an eine kleine christliche Gemeinschaft, das „Faderhuset“, weiter. Diese versucht nunmehr seit 5 Jahren, die jugendlichen BenutzerInnen aus dem Haus herauszuklagen. Seit „Faderhuset“ im August 2006 ein endgültiges Räumungsurteil erwirken konnte, zeichnet sich eine Konfrontation ab.

Das Haus im Jagtvej 69 ist für die Jugendlichen in Nørrebro zu einem Symbol geworden. Sie wollen es nicht gegen eine andere Alternative eintauschen – abgesehen davon, dass es Kopenhagen auch nicht gelungen ist, eine solche anzubieten. Aber auch der jetzige Eigentümer „Faderhuset“ hat das Haus zu einem Symbol gemacht: An ihm und am Schutz der Eigentümerrechte entscheide sich die Zukunft Dänemarks als Rechtsstaat. Diese Haltung fand in Teilen der Medien ein positives Echo. Gäben die Politiker diesmal nach, würden „Autonome bald plündernd und steinewerfend durch die Stadt ziehen“, schrieb beispielsweise die Boulevardzeitung B.T.

Die festgefahrene Situation versuchten verschiedene Vereinigungen dadurch aufzulösen, dass sie umgerechnet fast 2 Millionen Euro sammelten, um das Haus zurückkaufen und den Jugendlichen erhalten zu können. Doch in der vergangenen Woche wies „Faderhuset“ das Kaufangebot zurück. „Niemals“ werde man das Haus verkaufen, an dessen Stelle man ein religiöses Zentrum errichten will.

Über die Gründe dieser Sturheit wird gerätselt. Medien vermuten, dass sich hinter der kleinen christlichen Sekte, die nach eigenen Angaben 120, nach Medienrecherchen nur 30 Mitglieder hat, Kräfte verstecken, die die vorwiegend muslimische Bevölkerung in Nørrebro provozieren wollen. Erwähnt werden dabei AnhängerInnen eines selbst ernannten „Kreuzfahrers“ Mogens Hansen, der 2002 als „Moses“ mit einem Kreuz auf Rädern durch Nørrebro zog und mit Slogans wie „Der Islam wurde in der Hölle geschaffen“ und „Dänemark steht vor der Wahl: Gott oder Allah“ für Unruhe sorgte.