Heinrich (Chaim) Rosenblum, Thedinghauser Str. 46

■ In Galizien geboren, im Schnoor aufgewachsen, eine Metallwaren-Handlung und eine Familie in der Neustadt gegründet, in der „Reichskristallnacht“ ermordet /Kein christlicher Nachbar erschien zur Beerdigung

Der Tote auf dem Foto heißt Heinrich (Chaim) Rosenblum. Er starb in der „Reichskristallnacht“ und erlangt - zu deren 50. Jahrestag - als eines von fünf damaligen Todesopfern eine späte Würdigung. Zu seiner Beerdigung im November 1938 erschien kein christlicher Nachbar. Nur einmal - 1951 wurde seiner kollektiv in Bremen gedacht: Die milden Urteile gegen seine SA-Mörder im Jahre 1947 führten zu einer spektakulären Arbeitsniederlegung (vgl. untenstehenden Artikel).

Heinrich Rosenblum (Jahrgang 1892) war der älteste Sohn immigrierter galizischer Juden. Mit sechs Jahren kam er von Chrzanow bei Krakau nach Bremen. Er wuchs im Haus Schnoor 3 auf, arbeitete als Glasergehilfe in der Westerstraße und zog 1914 für Deutschland in den Krieg. Sein Vater, Berek (Bernhard) Rosenblum hatte bereits 1912 erfolgreich die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt, u.a. mit dem Verweis auf die überdurchschnittliche Wehrtüchtigkeit seiner Söhne.

Der älteste Sohn des Buchbinders, der Unteroffizier Heinrich Rosenblum, fühlte sich auch nach dem Krieg als deutscher Patriot und trat 1919 dem „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“ bei.

In den zwanziger Jahren begründete Heinrich Rosenblum eine

-durch Boykottmaßnahmen

schließlich ruinierte - Metallwaren-Großhandlung in der Thedinghauser Straße 46. Er war verheiratet mit Ernestine Felczer und hatte mit ihr vier Kinder. In dem Nachruf des ehemaligen Bremer Rabbiners Dr. Felix Aber hieß es, Heinrich Rosenblum habe gelebt als „einfacher Mann des Volkes, ein bescheidenes, ehrenwertes Leben“.

Heinrich Rosenblum wurde von den beiden SA-Männern Ernst und Wilhelm Behring in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 ermordet. Die beiden SA-Brüder, damals 29 und 34 Jahre alt, kannten ihr Opfer nicht, sie vollstreckten ohne großes Zögern einen nächtlichen Befehl ihres Sturmführers Heinrich Hinrichsen, der in der SA-Dienststelle „Johann-Gossel-Haus“ am Buntentorsteinweg 95 das stellvertretende Kommando hatte. Der ältere Bruder wohnte zum Zeitpunkt des Mordes in der Yorckstraße 40, der jüngere in der Roßbachstr. 21. Gemeinsam zogen sie in SA-Uniform und mit einer Pistole bewaffnet, zum Rosenblumschen Haus. Sie klopften an das Schlafzimmerfenster. Heinrich Rosenblum öffnete ihnen. Er sollte sich ausweisen. Um seinen Personalausweis zu holen, ließ er sie in das Zimmer treten, in dem seine Jacke hing. Er nahm seinen Ausweis heraus und zeigte ihn vor. Als er sich umdrehte, um ihn zurückzustecken, schoß ihn

Wilhelm Behring aus nächster Nähe in den Hinterkopf.

Die beiden Täter meldeten sich, nachdem sie den Mordbefehl so kaltblütig wie feige ausge

führt hatten, auf ihrer Dienststelle zurück. Dort erfuhren sie, daß kurz nach ihrem Abmarsch der offizielle „Rückpfiff“ gekommen war - eine Warnung vor

so weitgehenden Tätlichkeiten wie dem Erschießen von Juden, das zum damaligen Zeitpunkt auch für SA-Männer noch nicht opportun war.

Vermutlich wenige Stunden später, am 10. November, ließ die SA die Leiche Heinrich Rosenblums und die Leichen von drei anderen Opfern in den jeweiligen Privatwohnungen photographieren. Diese grausigen Foto-Dokumente aus der Zeit der NS-Herrschaft befinden sich im Besitz des Staatsarchivs, eines der „harmloseren“ ist hier reproduziert (Wer genau hinspäht, erkennt links neben der Leiche die Ausweispapiere).

Ebenfalls am Vormittag des 10. November drängten sich viele Bremer Jüdinnen und Juden vor den ausländischen Konsulaten, um - alarmiert durch die Ereignisse der zurückliegenden Schreckens-Nacht - ihre Auswanderungschancen zu erfragen. Nach Aussagen einer ehemaligen Angestellten des Konsulats von Uruguay war darunter auch die Witwe Heinrich Rosenblums, Ernestine Rosenblum, geborene Felzer. Mit einem Baby auf dem Arm habe sie weinend von der Ermordung ihres Mannes berichtet. Während ihre älteren Kinder Bernhard und Senta noch im November 1938 in die USA auswandern konnten, mußte sie 1941 mit den kleinen Töchtern Irmgard und Toni (geb. 28.1.1937) den

Todestransport nach Minsk antreten.

Am Nachmittag des gleichen Tages, des 10. November 1938, erinnerten sich Bremer SA-Männer an den jüdischen Friedhof in Hastedt, den sie in der zurückliegenden „Kristallnacht“ im Gegensatz zur Synagoge bei ihrer Verwüstungsaktion vergessen hatten. Sie tobten sich erneut aus. Die Beerdigungsgeräte wurden zerschlagen, die Friedhofshalle durch ein Feuer gänzlich zerstört, der Friedhof geschändet und damit auch die künftige letzte Ruhestätte des Heinrich Rosenblum. Der frühere Rabbiner Dr. Felix Aber schilderte Heinrich Rosenblums „Begräbnis“ in einer Gedenkrede: „Die meisten jüdischen Männer waren in Haft genommen und in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht. Auch nicht eine einzige Hand eines nichtjüdischen Nachbars rührte sich, die schlichte Menschenpflicht zu erfüllen, die Ermordeten zu beerdigen. Meine gute Frau und wenige Frauen und Knaben, unerfahren in dieser Tätigkeit, kuhlten die Gräber und begruben die Toten.“

Barbara Debus

Am Montag, den 7.11. (und nicht wie irrtümlich im Programm ausgedruckt am Mittwoch, den 9.11.) veranstalten „Neustädter Bürger gegen Neofaschismus“ um 16.30 eine Mahnwache vor dem Haus Thedinghauser Straße 46.