■ Heimatkunde (8): Wie es kam, daß Benno Ohnesorg nach Berlin ging: Entscheidung in den Dünen
Abgesehen vom Attentat auf Rudi Dutschke sind sie wohl das abgenutzteste APO-Klischee: Die längst restlos zum Bestandteil der bundesdeutschen Staats-Mythologie verfremdeten Ereignisse rund um den Berliner Schah-Besuch vom 2. Juni 1967. Um 12.03 trifft der Schah vor dem Schöneberger Rathaus ein, wo sich anschließend zirka 80 bezahlte und zum Teil aus der BRD eingeflogene „Jubelperser“ in Zusammenarbeit mit der Polizei eine Straßenschlacht mit der wartenden Menge liefern (nur ein Viertel der 3.000 sind Schah- Gegner, der Rest sind Schaulustige).
Die mit Bussen der BVG herangekarrten „Jubelperser“ schlagen mit Latten, Schlagringen und Stahlruten wahllos um sich — fünf Anti-Schah-Demonstranten werden anschließend wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“, „Landfriedensbruch“ u.ä. Delikten verhaftet. Vorausgegangen sind dieser Eskalation wochenlange politische Aufklärung an der Freien Universität über das Folter- Regime des Schah, polizeiintern die Legende, in Berlin würde ein Attentat auf ihn vorbereitet.
Entsprechend aufgeheizt ist die Stimmung am selben Abend vor der Deutschen Oper, wo Berlins Bürgermeister Heinrich Albertz die Staatsgäste zur „Zauberflöte“ erwartet. Wieder werden zunächst die „Jubelperser“ herangekarrt, die mit dem erprobten Wurfsortiment begrüßt werden. Später fliegen Steine, die sechs Polizisten verletzen. Als Schah, Farah Diba & Albertz in ihrer Loge der Ouvertüre lauschen, gibt Polizeipräsident Duensing den Befehl, die Straße zu räumen — d.h. den sich bereits zerstreuenden Demonstranten hinterherzusetzen.
Zwei Abteilungen drängen die Menge mit dem Schlagstock zurück, die eine sperrt den Gehweg in Richtung Sesenheimer Straße, die andere drängt Demonstranten und Passanten zur Krummen Straße. Der so geschaffene Menschen-„Schlauch“ wird mit Wasserwerfern traktiert, Zivilfahnder greifen sich einzelne zum Verprügeln heraus. Ein Demonstrant wird von einem Polizisten in den Garagenhof des Hauses Krumme Straße 66/67 geschleift, ihnen folgen ca. 30 Schaulustige und Demonstranten. Dann riegelt die Polizei den Hof ab, die Eingeschlossenen werden zum Teil krankenhausreif geschlagen. Um 20.30 Uhr feuert Polizeiobermeister Karl- Heinz Kurras zwei Pistolenschüsse ab, von denen einer den Studenten Benno Ohnesorg, den gerade eine Gruppe Polizisten mißhandelt, in den Hinterkopf trifft.
Der Sterbende wird noch gefilmt und fotografiert; eine ebenfalls blutig geschlagene Krankenschwester bemüht sich dann trotz eigener Gehirnerschütterung noch beim Transport ins Krankenhaus um ihn. (Am Moabiter Krankenhaus wird sie abgewiesen, weil sie ihre Personalien nicht angeben will). Die Polizei verbreitet unterdessen über Lautsprecher, ein Polizist sei von einem Demonstranten erstochen worden...
Die Öffentlichkeit nimmt den Tod Ohnesorgs beispiellos schockiert zur Kenntnis, damit ist der Auftritt des Braunschweiger Beamtensohns in der Zeitgeschichte aber auch schon wieder beendet. Was ihn damals auf die Straße trieb, wie es ihn überhaupt nach Berlin verschlagen hatte, darüber verlautete nichts.
Das erfuhren erst gut 30 Jahre später, am 24. Januar 1996, Zuschauer der WDR-3-Sendung „Wiedersehen“. Stargast der „Das ist ihr Leben“-artigen Revue war an diesem Tag Sängerin Katja Ebstein, die sich bei dieser Gelegenheit als vehemente APO-Anhängerin zu erkennen gab. Noch als Primanerin Katja Wietkewicz aus der Epensteinstraße sei sie Stammgast im linken Café am Steinplatz gewesen, der dort ebenfalls häufig mit seinen Kladden anzutreffene Rudi Dutschke habe ihr damals den Marxismus erklärt. Und auch Benno Ohnesorg habe sie gekannt:
Wie viele tausend andere Berliner Ferienkinder hatten sie und eine Freundin in den 50er Jahren einige Wochen im Haus „Wilmersdorf“ in Wittdün auf der Nordseeinsel Amrum verbracht. 1963, inzwischen 18jährig, bemühten sich die Mädchen erneut um einen Amrum-Aufenthalt. Sie schrieben „Haus Wilmersdorf“ und die direkt daneben liegende Wittdüner Jugendherberge an und erkundigten sich nach Ferienjobs.
Katja konnte dann im „Wilmersdorf“, die Freundin ein Haus weiter für Kost, Logis und 80 Mark Taschengeld anfangen. Der Freundin fiel bald ein hochgewachsener, scheuer Herbergsgast angenehm auf. Und auch dem jungen Abiturienten Ohnesorg gefiel die Ebstein- Freundin, und so zog man bald zu dritt über die Insel. Dabei rückte der Mann irgendwann mit seinem größten Problem heraus: Seine Einberufung zur Bundeswehr stehe unmittelbar bevor, und dorthin ziehe es ihn gar nicht.
Versiert wiesen ihn die Berlinnerinnen auf die Wehrdienst-Befreiung für West-Berliner hin. Zum nächstmöglichen Termin immatrikulierte sich Ohnesorg an der FU für Soziologie, später studierte er Germanistik und Romanistik. Wenn auch die Beziehung zu Katjas Freundin im Sande verlief, hielt er doch weiter Kontakt zu Katjas Clique. Und genau das wurde ihm am 2. Juni 1967 zum Verhängnis. Nicht der Schah hatte den sensiblen Hesse-, Brahms- und Dylan- Fan auf die Beine gebracht — obwohl er den politischen Zweck billigte, fühlte er sich zwischen Demonstrantenmassen nicht wohl. Nein, er wollte lediglich Katja & Co. aufgrund einer „losen Verabredung“ (Ebstein) nach der Demo abpassen. Statt dessen geriet er dann im Garagenhof 66/67 an Polizeiobermeister Kurras.
Katja Ebstein, die nach eigenem Eingeständnis mit ihrer Freundin „noch lange an der Sache zu knacken hatte“, vertrat schon drei Jahre später die Bundesrepublik beim „Grand Prix de la Chanson“ in Amsterdam und errang mit „Wunder gibt es immer wieder“ einen beachtlichen 3. Platz (den sie 1980 mit einem 2. Grand-Prix- Platz für „Theater, Theater“ sogar noch übertreffen konnte).
Zu Sitzblockaden gegen Raketenstationierungen, Veranstaltungen der „Ärzte gegen Atomtod“ und gegen die Schließung der Betriebe in Rheinhausen ist sie aber auch weiterhin gegangen. Christian Meurer
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