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■ Heimatkunde (7): Vom Kasernenhof in den MinisterratWilli Stoph in Krieg & Frieden, zweiter Teil

1937 hatte der spätere DDR-Ministerratsvorsitzende Willi Stoph für eine NS-Fachzeitung einen launigen „Erlebnisbericht“ über seine Rekrutenzeit verfaßt.

Ein echter Knüller für die West- Propaganda wurde aus der Sache dennoch nicht – am 5. Mai 1960 wiegelte sie das Neue Deutschland damit ab, daß der Stabsgefreite Stoph seine „spezielle Arbeit gegen den Faschismus“ natürlich habe „tarnen“ müssen. Was, da man ihn keineswegs schaßte, sondern – als zirka 25. Job seit Bestehen der DDR – anschließend sofort zum Stellvertreter von Ministerpräsident Grotewohl machte, auch glaubwürdig schien. Zwei Jahre später unkte die Weltwoche:

„Zweifellos hat sich der intelligente Bautechniker Stoph mit jenem Artikelchen in einem Nazi- Blatt getarnt. Ebenso dürfte aber feststehen, daß er nicht mit dem deutschen kommunistischen Untergrund zusammengearbeitet hat, sondern unmittelbar im Auftrag des sowjetischen Geheimdienstes, der sich 1935 brennend für den Wiederaufbau der deutschen Wehrmacht interessierte. Was Stoph im einzelnen geleistet hat, dieses Aktenstück hat vermutlich nur Ulbricht selber in Moskau einsehen dürfen.“ Vermutlich habe Moskau den Meisterspion sogar Ulbricht als Politruk, als Politkommissar und Aufpasser beigegeben.

Als Stoph 1970 mit Willy Brandt in Kassel und Erfurt zusammentraf, suchte Jasmin die wohl bestinformierte Zeitzeugin auf: Stophs erste Frau Marianne, die in West- Berlin in einem Senatsbüro als Kontoristin arbeitete. „Die Zeitschrift für das Leben zu zweit“ zog eine melancholische Bilanz:

„Es ist nicht viel geblieben von dem, was 1931 mit einem ersten Kuß begann und 1947 durch die Amtshandlung einer Ehescheidung beendet wurde. Da gibt es noch das Mietshaus in Berlin-Neukölln, Kienitzer Str. 10, in dem das Paar einst seine Flitterwochen verlebte. Es war eine recht armselige Zuflucht: Häßliche Wasserrohre störten das junge Ehepaar und Maurer Willi Stoph verkleidete diese Rohre säuberlich mit Kacheln. Die Mieter von 1970, Bürger einer sozialdemokratisch regierten Stadt, profitieren noch heute vom handwerklichen Ordnungssinn des kommunistischen Regierungschefs von ,drüben‘. Ein paar Nachbarn von damals, die immer noch im Haus Kienitzer Str. 10 wohnen, erinnern sich vage an den Mann, der später mit Kanzler Willi Brandt zwischenstaatliche Verhandlungen führen sollte: ,Ein freundlicher Mann... Manchmal lag er stundenlang unter seinem alten Auto, um es zu reparieren.‘“

Wie sich seine Ex-Frau entsann, tarnte sie die vielseitige Tätigkeit des schriftstellernden Soldaten, Heimwerkers und einsamen Top- Agenten u.a. dadurch, daß sie noch während der Brautzeit Koffer voller kommunistischer Flugblätter in die Kaserne ihres Willi schmuggelte. Kurz bevor Hitler 1933 die Macht eroberte, sei er für ein Jahr von der Bildfläche verschwunden gewesen und derweil wahrscheinlich in einer sowjetischen Agentenschule in Rußland ausgebildet worden. Und offenbar sofort danach auf die Brandenburger Artilleriekaserne in der Magdeburger Straße angesetzt worden.

Die Ehe mit Marianne, im April 1938 geschlossen, ging kurz nach Kriegsende in die Brüche, und Marianne Stoph kehrte zu ihrer Mutter in den US-Sektor nach Neukölln, Friedelstraße 60, zurück. Auch für diesen Bruch, wußte Jasmin, gibt es politische Indizien. Fritz Schenk, der 1957 geflüchtete Referent des DDR-Planungschefs Bruno Leuschner: „Es war zu jener Zeit ein offenes Geheimnis, daß Lotte Ulbricht die Frauen der Spitzenpolitiker begutachtete und auf Scheidung drängte, wo die Ehefrau zu einfach oder unpolitisch war. Die Partei suchte dann die zweite Frau aus – so bei Otto Grotewohl, bei Herbert Warncke, bei Heinrich Rau...“

Wie auch immer, der dämonisch-unscheinbare Stoph heiratete seine Sekretärin Alice Lütgens, Tochter eines Generaldirektors der staatlichen Handelsgesellschaft Textil, und setzte seine außergewöhnliche Karriere fort. Besuchte neben seinen DDR-Regierungsämtern noch die Politschule der KPdSU, die Lenin-Akademie, Waffenschulen der Sowjet-Armee, die Frunse-Akademie und wurde auch noch viermal Vater.

Das Ende der DDR erlebt er – zeitweilig war er ihr Staatsoberhaupt gewesen – dann als Vorsitzender des Ministerrats. In die Affäre rund um die Brandenburger Kaserne kam jedoch erst etwas Klarheit, als sein ehemaliger Vorgesetzter Erich Honecker Anfang 1990 dem DDR-Liedermacher Reinhold Andert für den Interview-Band „Der Sturz“ Rede und Antwort stand.

„Das sind Dinge, die ich nicht gern an die große Glocke hänge“, erinnerte sich Honecker unscharf. „Es kam, weil in der Westpresse eines Tages eine Veröffentlichung erfolgte über einen Artikel von Willi Stoph in seiner früheren Regimentszeitung vor 1945. In diesem Artikel hatte Willi Stoph geschrieben, daß sein größtes Erlebnis war, an der Parade zu Führers Geburtstag teilzunehmen. Dieser Artikel ist natürlich erschienen zur Diskreditierung der Person von Stoph.

Wir alle wußten das nicht. Nach dem Erscheinen dieses Artikels begab sich Willi Stoph sofort zum Generalsekretär der Partei, und sagte ihm, daß der Artikel stimme und daß er das in seinen Personalakten verschwiegen habe. Ulbricht möge nun beurteilen, ob seine weitere Arbeit noch im Politbüro möglich sei. Walter Ulbricht sagte, daß das selbstverständlich eine sehr miese Angelegenheit sei. Jedenfalls hat mich unmittelbar danach Walter Ulbricht angerufen und gesagt: ,Du, Erich, komm mal her, der Willi Stoph war eben bei mir und es hat sich eine solche Lage ergeben. Selbstverständlich kann er aufgrund dieser Situation, das sind wir schon den Freunden in der Sowjetunion schuldig, und auch der eigenen Partei, nicht Verteidigungsminister bleiben. Es ist deine Sache, wie du das mit ihm besprichst. Ich habe den Vorschlag, weil Otto Grotewohl als Ministerpräsident ja krank ist, daß man ihn ohne viel Aufsehen von seiner Funktion als Verteidigungsminister entbindet und ihn einsetzt als Ersten Stellvertreter des Ministerrats. Damit ist er aus den Reihen der bewaffneten Kräfte heraus und auch aus der Verbindung mit den entsprechenden militärischen Stellen in der Sowjetunion.‘“

Honecker will dann zu Stoph gesagt haben: „,Willi, hör mal her, es gibt da eine solche Frage, die zusammenhängt mit deinem Artikel in der Regimentszeitung, in dem du Adolf, den Großen, verherrlicht hast. Wir wissen natürlich nicht, wie sich das ausweiten wird, das gesamte Ding, aber als erstes schlagen wir als Übergang vor, daß du deine Arbeit aufnimmst als erster Stellvertreter von Otto Grotewohl. Otto ist ja oft sehr krank. Das ist dir ja nicht unbekannt aufgrund einer früheren Tätigkeit.‘ Damit war seine Ablösung als Verteidigungsminister und die Aufnahme der neuen Tätigkeit entschieden.“

Ob da nun wiederum Honecker schwindelte, ob Stoph angesichts dieses milden Verfahrens nicht doch ihn der Sowjetunion auf Gedeih und Verderb verpflichtende Interna in der Brandenburger Kaserne herausfand – bevor es endgültig zu spät ist, sollte man den seit der Beendigung seines Strafverfahrens wegen „Verkalkung“ zurückgezogen in einer Balkonwohnung in Berlin-Mitte lebenden 83jährigen unbedingt danach fragen. Nach den von ihm verfaßten „Liebesgeschichten“ natürlich auch. Christian Meurer

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