Heimatfilm: Der Held aus dem Harz
Der Ort Wildemann im Oberharz bietet seinen Bewohnern keine Perspektiven. Einer der wenigen, der noch Arbeit hat, ist der Bauer Wolfgang Beuse, der den letzten Hof im Ort bewirtschaftet: ohne Kraftfutter, ohne technische Neuerungen. Was das mit dem Ort macht, zeigt der Dokumentarfilm "Wilde(r)mann".
Was wirklich Sache ist in Wildemann, das sagt der ehrenamtliche Bürgermeister Arno Schmidt: Noch 1.100 Einwohner habe das Örtchen im Oberharz, "1.000 weniger als vor 50 Jahren. Das ist ein sterbender Ort. Die Industrie hat uns verlassen. Die Touristen kommen nicht mehr. Wir müssen gucken, dass wir mit dem Wenigen, was uns noch bleibt, einigermaßen zurecht kommen."
Schmidt sagt das vor der Open-Air-Bühne des Kurparks, die aussieht, als stamme sie aus der DDR. Tut sie aber nicht. Wildemann liegt im Landkreis Goslar, Südniedersachsen. Früher prägte der Bergbau das Leben in Wildemann, aber das ist lange her. Was es noch gibt, ist das Blasorchester "Altes Berghornisten Corps v. 1848 Wildemann", das auf der Open-Air-Bühne auftritt.
Geblieben ist Wildeman außerdem der Bauer Wolfgang Beuse, der den letzten noch bewirtschafteten Hof im Ort betreibt. Beuse ist ein alter Mann, der immer gebückt geht und längst in Pension sein könnte. Er hat keine High-Tech-Apparate, kein Kraftfutter und keine Massentierhaltung, dafür hat er einen Hirten und das Glück, zufrieden zu sein mit seiner Arbeit - auch wenn sie 15 Stunden am Tag dauert und keinen Urlaub zulässt. Wie Beuse den Hof am Laufen hält, was er sich dabei denkt und was seine Haltung mit seiner Umwelt macht, das hat die Filmemacherin Roswitha Ziegler in ihrem Dokumentarfilm "Wilde(r)mann" festgehalten. Kommende Woche, am 8. Dezember, hat der Film in Hamburg Premiere. Nächstes Jahr im März wird er im öffentliche-rechtlichen Fernsehen laufen.
Beuse ist einer, der mit Stolz erzählt, dass eine seiner Kühe demnächst 20 Jahre alt wird. "Solche alten Kühe gibt es heute kaum noch. 15 Kälber hat sie uns gebracht", sagt Beuse, der seine Tiere und seinen Hof auf eine Art und Weise liebt, die vielen im Ort suspekt ist. Beuse ist nicht nur ein Dinosaurier, wie einer der Bewohner im Ort sagt: Beuse ist ein Modernisierungsverweigerer mit einer durchaus kämpferischen Haltung.
Ihm geht es darum, unabhängig zu sein, und das schafft er auch. Während er die Tiere versorgt und das Gras mäht, schimpft er über "die da oben", die uns "auspressen wie Zitronen". Gemeint sind die Politiker, die Wirtschaftsbosse und die Banker. Sicher, Beuse schimpft pauschal und diffus. Aber es gibt einen Grund, ihn ernst zu nehmen. Beuses politisches Bild ist geprägt von der Lebenssituation der Menschen um ihn herum: Die meisten leben von Hartz IV und haben keinerlei berufliche Perspektiven.
Beuse, sein Einzelkämpfer-Dasein und seine Selbstversorger-Romantik bilden in Zieglers Film den Rahmen für die viel interessantere Erzählung vom Schicksal der Menschen in einem abgehängten Ort. Neben Beuses Hartz-IV-Verwandtschaft gibt es die Haushälterin, die im Örtchen keinen Mann findet. Oder den Jungen, der nicht zur Schule geht und Gespräche darüber ablehnt. Sie alle fühlen sich von Beuse angezogen und helfen immer wieder mit auf dem Hof. Beuse ist für sie ein Held, weil er dem Niedergang etwas entgegensetzt. Gleichzeitig wissen sie, dass sein Weg keine Lösung für ihre Probleme sein könnte.
Unweigerlich steuert der Film auf die Frage zu, wer Beuses Hof weiterführen könnte. Ein Nachfolger aber ist nicht in Sicht. Obwohl der Hof als "Klein Tirol" mittlerweile ein Faktor im verbliebenen Wildemann-Tourismus geworden ist.
"Wilde(r)mann" ist ein ruhiger Film, der erzählt, was binnen eines Jahres passiert, gegliedert in die vier Jahreszeiten. Es ist die Dramaturgie einer Naturdokumentation, immer wieder zeigt die Kamera die Tiere, die Landschaft, das Wetter. Bilder, die als Ergänzung funktionieren zu den Interviews, die Ziegler mit den Menschen im Ort geführt hat. Bilder, die Bauer Beuse Recht geben. Es ist ein Film, der auf eine sehr einfache Art und Weise argumentiert. Aber auch auf eine überzeugende.
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