: Heimat der Mißverstandenen
■ Wilco erweisen Country und Rock 'n' Roll mit Augenzwinkern ihre Reverenz
Nein, diese Musik ist kein Rock 'n' Roll. Country übrigens auch nicht. Diese Musik erzählt nur vom Rock 'n' Roll und vom Country. Being There hat Songwriter Jeff Tweedy das Großwerk seiner Band Wilco betitelt. Das meint soviel wie: „Ich bin schon mal dagewesen oder ich kenne das alles. Denn meine Plattensammlung ist groß, viel größer als das Leben da draußen.“ Mit Abstand und Respekt und manchmal auch mit Augenzwinkern erweist hier jemand Country und Rock 'n' Roll seine Reverenz, der diese Musik oft und dringend benötigt hat. Als Mißverstandener, als Verlorener. Und weil man ja sonst an nichts glaubt.
„Misunderstood“ heißt der mächtig andächtige Eröffnungssong dieser Doppel-CD, am Anfang des zweiten Teils keucht Jeff Tweedy in „Sunken Trea-sure“ mit religiöser Inbrunst: „I was tamed by Rock 'n' Roll / I was lamed by Rock 'n' Roll / I got my name from Rock 'n' Roll.“ Worte eines Gläubigen. Being There ist das zweite Album von Wilco, und es ist perfekt. Zu perfekt für ein paar Kritiker. Denn die erkennen in dem fast achtzigminütigen Mammutwerk nicht die Hommage, also das Gebet im weiteren Sinne, sondern suchen nach Originalität. Oder noch schlimmer: nach Authentizität. Die wird man schwerlich finden. Aber Tweedy ist nun wirklich auch der letzte, der sie für sich in Anspruch nimmt. Denn natürlich weiß er, daß sich zwischen den klassischen Koordinaten, in denen er arbeitet, kein genuin neues Songwriting entwickeln läßt.
Original kannst du nicht sein, originell aber trotzdem. Einmal beschleicht Tweedy mitten bei der Arbeit das Gefühl, gerade die Komposition eines anderen zu singen, weshalb er das Ganze dann „Someone Else's Song“ betitelt. Konsequenterweise. Der 29jährige aus St. Louis, der mit seiner letzten Band Uncle Tupelo viele begeisterte Kritiker fand und doch kaum einen solventen Fan, zieht seinen Stiefel durch. Und wenn das Riff in „Monday“ hundertprozentig nach den Rolling Stones klingt – um so besser. Dann wissen die Leute wenigstens gleich, daß er ein Fan ist.
Apropos Fantum: In „The Lonely 1“, einem der schönsten Songs auf Being There, besingt Jeff Tweedy unendlich sanft einen Star auf der Bühne. Wie gesagt, diese Musik erzählt nur vom Rock 'n' Roll und vom Country, aber vielleicht ist sie trotzdem so echt wie das Leben da draußen. Denn die Helden sind immer die anderen
Chistian Buß
Mo, 9. Dezember, 21 Uhr, Knust
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