Heiligsprechung für Haider gefordert: Heiliger Jörg, bitte für uns!
Der tote Landeshauptmann Haider lebt in Kärnten weiter: Der Devotionalienhandel mit Haider-Andenken blüht. Jetzt will ihn eine obskure Liga sogar heiligsprechen lassen
Herr, allmächtiger Gott, wir danken dir für deinen Diener Jörg Haider, den du berufen hast, so viel Gutes für unser Land Österreich und seine Einwohner zu tun. Als dein Diener, voll Barmherzigkeit und als Bote deines Friedens brachte er den bedrängten und verzweifelten Menschen Trost und Hilfe und Licht.
Das ist einer von drei Gebetsvorschlägen, mit denen die Doktor-Jörg-Haider-Gebetsliga sich in ihrem Internetauftritt für die Heiligsprechung des vergangenen Oktober verunfallten Extrempopulisten einsetzt.
So tot kann Jörg Haider gar nicht sein, dass sein Name aus den Schlagzeilen verschwinden würde. Die kuriose Liga, die sich in einer Antwort an die Tageszeitung Der Standard schroff gegen die Unterstellung verwahrt, die Aktion sei ein Hoax, will mit Haiders BZÖ genauso wenig zu tun haben wie mit der katholischen Kirche, bleibt aber anonym. Kontakt bietet sie nur per E-Mail über ihre Website an. Die Liga verlangt den Fans des Verblichenen auch einen langen Atem ab: "Was beim Seligen Karl über 80 Jahre dauerte, kann auch bei Jörg Haider so lange dauern".
Neben einem "heiligmäßigen Leben muss der Kandidat laut Regel auch Wunder vollbracht haben. Das kann durchaus auch posthum erledigt werden, wie im Fall des "Seligen Karl". Der 1922 verblichene letzte Kaiser von Österreich hat ja, wie der Vatikan vor dessen Seligsprechung zertifizieren musste, in den 1960er-Jahren eine Nonne von ihren Krampfadern geheilt. Deswegen der dringende Wunsch der Haider-Gebetsliga: "Je mehr wir beten, umso mehr Wunder (auch wichtig für Selig- und Heiligsprechung) kann es geben!"
Matthias Kapeller, Pressesprecher von Bischof Alois Schwarz der Diözese Gurk-Klagenfurt, erklärte gegenüber der taz, dass der Bischof "Websites anonymer Provenienz" grundsätzlich nicht kommentiere. Sein von der Gebetsliga zitiertes Lob aus dem Gedenkgottesdienst, wonach Haider eine "außerordentliche politische Persönlichkeit von großer Begabung und mit besonderem Engagement" war, sei aus dem Zusammenhang gerissen.
Stefan Petzner, Haiders ehemaliges Mädchen für alles und letzter "Lebensmensch", weiß nichts von dieser Initiative. Gegenüber dem Standard versicherte er, es gehe ihm nicht um Seligsprechung seines Mentors, sondern um "Wahrheit und Gerechtigkeit - das ist es, was zählt. Für die Kärntner hat er als Landeshauptmann sowieso einen besonderen Platz."
Petzner verlangt eine Wiederaufnahme der Untersuchungen zum Unfalltod am 11. Oktober. Laut gerichtlicher Erkenntnisse ist der Politiker nach Mitternacht mit 1,8 Promille Alkohol im Blut nach einem Überholmanöver bei 140 bis 170 Stundenkilometern von der Fahrbahn abgekommen. Petzner, ein 28-jähriger Publizistikstudent, der unter Haider eine raketenhafte Karriere im BZÖ machte, enthüllte jüngst im Boulevardblatt Österreich, Haider habe als erster Politiker über "hochbrisante" Fakten zur Finanzkrise verfügt. Diese Informationen hätten für "die wahren Mächtigen der Welt, die an der Ostküste und sonst wo sitzen", die "mächtigsten Lobbys, die mächtigsten Finanzjongleure" unangenehm werden können: "Er wusste, das ist gefährlich, was er da besitzt."
Die Zweifel am Unfalltod teilt Petzner mit dem deutschen Skandalautor Gerhard Wisniewski, der vor einem Monat seine Verschwörungstheorie im Buch "Jörg Haider. Unfall, Mord oder Attentat?" präsentierte. Nach seiner gegenüber Österreich zusammengefassten Theorie gab es eine gigantische Vertuschung: "Ich habe die letzten Stunden Jörg Haiders recherchiert und kann mit Sicherheit sagen: Den Crash, wie er geschildert wird, hat es sicherlich nicht gegeben. Stattdessen handelt es sich um eine bloße Inszenierung, das Autowrack wurde präpariert und dort abgestellt. Haider ist in dem Moment gestorben, wo er auf dem Weg war, bundespolitisch wieder mehr Macht zu erringen. Das dürfte den Tätern nicht gefallen haben. Ich gehe von einem politischen Motiv des Attentats aus".
Seitenlange Vorausberichte über das im Laufe des Jahres erwartete erste Haider-Enkerl, Spekulationen über Politambitionen der Witwe Claudia Haider in Endlosschleife und Berichte über die Kuriosa des Haiderkults bereichern die Medien. Selbst das Internetauktionshaus Ebay bietet Fanartikel an. Immerhin konnte das BZÖ bei den Landtagswahlen in Kärnten im März nach einer Haider-Gedächtniskampagne einen Sensationssieg einfahren. Außerhalb Kärntens ist die Strahlkraft des Extrempopulisten allerdings begrenzt. Bei den EU-Wahlen vor einem Monat scheiterte das BZÖ an der Fünfprozenthürde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“