Heiko Maas (SPD) zur Rentendebatte: "Verkappte Rentenkürzung"
Ohne Jobs für Ältere ist eine Erhöhung des Rentenalters sinnlos, meint Heiko Maas. Insgesamt wünscht sich der Chef der Saar-SPD mehr Mitbestimmung durch die Bürger - auch bei Personalfragen.
taz: Herr Maas, reicht Ihnen der mutmaßliche Kompromiss bei der Rente? Eine Verschiebung, bis sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt verbessert hat?
Heiko Maas: Die Erhöhung des Renteneintrittsalters ist nur sinnvoll, wenn es auch ausreichend Arbeitsplätze für ältere Arbeitnehmer gibt. Sonst ist die Rente mit 67 nur eine verkappte Rentenkürzung.
Mit wie vielen Jahren Aufschub rechnen Sie?
43, Jurist, ist seit elf Jahren Fraktionsvorsitzender der saarländischen SPD und gehört seit dem Jahr 2001 dem Bundesvorstand an. Nach der Landtagswahl im August 2009 führte Sondierungsgespräche mit den Grünen und der Linkspartei. Doch statt für eine rot-rot-grüne Koalition entschieden sich die Grünen für ein Bündnis mit CDU und FDP. Es war das zweite Mal, dass Maas als Spitzenkandidat einen Landtagswahlkampf anführte, am Ende aber das Nachsehen hinter Amtsinhaber Peter Müller (CDU) hatte.
Der Zeitraum ist sekundär. Es geht um Arbeitsplätze. Momentan gibt es keine Anzeichen dafür, dass bald eine vertretbare Beschäftigung erreicht wird. Wenn die Beschäftigungsquote es nicht hergibt, kann es auch in zehn Jahren keine Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters geben.
Müntefering kritisiert eine mögliche Korrektur als "defensives Signal". Hat er Recht?
Da halte ich es mit Willy Brandt, der gesagt hat: "Besinnt euch darauf, dass jede Zeit eigene Antworten will und man auf ihrer Höhe zu sein hat, wenn Gutes bewirkt werden soll." Es gibt ein offenkundiges Problem, genügend Arbeitsplätze für ältere Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen - und die SPD reagiert darauf. Das verstehe ich unter verantwortungsvoller Politik.
Vor einem Jahr sahen Sie wie der kommende Ministerpräsident des Saarlands aus. Warum hat das nicht geklappt?
Gescheitert ist es letztlich an den Grünen. Die haben sich nach der Wahl anders verhalten als vorher gesagt. Ein Wechsel hätte dem Land gut getan. Peter Müller ist verbraucht. Das ist keine Regierung, das ist ein Chaos-Club.
Das saarländische Verfassungsgericht hat nun einzelne Aktionen der Landesregierung vor der Wahl 2009 als verfassungswidrige Werbung zu Gunsten der CDU beurteilt.
Müllers Wahlkampf mit Steuermitteln aus der Landeskasse war illegal. Das hat er vom Verfassungsgericht schwarz auf weiß bekommen. Das ist ein einmaliger Vorgang in der Geschichte unserer Republik, das ist Verfassungskriminalität. Deshalb haben wir den Bundestagspräsidenten eingeschaltet. Wir lassen Müller nicht davonkommen. Ein Verfassungsbrecher als Ministerpräsident, das geht gar nicht.
Eigentlich können Sie doch froh sein nicht, zu regieren. Ihr potenzieller Koalitionspartner, die Linke, steckt in der Krise, wie zuletzt die Debatte um die Mitgliederzahlen gezeigt hat.
Das waren ja nie Mitglieder. Vor der Wahl hat die Saar-Linke permanent Jubelmeldungen darüber verbreitet, wie toll sie ist. Heute wissen wir: Da war eine Menge Luft dabei.
Ein anderer möglicher Partner wäre die FDP. Es gibt Öffnungstendenzen, von beiden Seiten.
Die sozialliberalen Regierungszeiten der siebziger Jahre im Bund waren keine schlechten Zeiten, auch nicht für die SPD. Es hängt von der FDP ab. Wenn Themen wie Bürgerrechte oder Bildung gestärkt werden, kann die FDP zu einem interessanten Partner für die SPD werden. Es wäre ein Fehler, diese Option nicht ernsthaft im Auge zu behalten.
Sie könnten sich wohl auch beim Thema Bürgerbeteiligung einigen. Brauchen Bürger wieder mehr Mitspracherecht?
Ja. Wir haben im Saarland gute Erfahrungen damit gemacht, das Wahlprogramm von den Bürgern und Mitgliedern mitgestalten zu lassen. Wir können noch weiter gehen…
Nämlich?
Wir können bei Personalfragen nach amerikanischem Vorbild Vorwahlen abhalten. Warum sollen sich Kandidaten nicht ein Votum von der Bevölkerung abholen lassen, bevor sie sich zur Wahl stellen?
Das würde dann auch für Sie gelten, vor der nächsten Landtagswahl?
Wir bräuchten ein Konzept, damit so etwas keine isolierte Aktion wäre, sondern auf kommunaler und Landesebene ein Organisationsprinzip wird. Dann kann es eine solche Vorwahl auch für SPD-Spitzenkandidaten geben.
In der Bildungspolitik hat Sigmar Gabriel gerade vorgeschlagen, die Bürger über das Kooperationsverbot abstimmen zu lassen. Ist das richtig?
Absolut. Es muss ein Mindestmaß an bildungspolitischer Übereinstimmung geben. Schließlich wird von den jungen Menschen Mobilität erwartet. Nach einem Umzug in ein anderes Bundesland wissen Eltern teilweise gar nicht, in welche Klassenstufe sie ihr Kind einzuschulen haben. Das ist außerordentlich problematisch, diese Auswüchse des Bildungsföderalismus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs