: Heftige Debatten bei DDR–Synode
■ Ein Antrag gegen „Praxis und Prinzip der Abgrenzung“ stößt auf Widerspruch / Antrag verlangt Reisefreiheit nach Ost und West / Kritik an Informationspraxis der DDR–Behörden
Görlitz (dpa/ap) - Auf der Synode der evangelischen Kirchen der DDR sind am Wochenende in Görlitz die Forderungen nach besseren Reisemöglichkeiten und einem offeneren innenpolitischen Klima Gegenstand erregter und teilweise kontroverser Diskussionen gewesen. Die Leitung des Kirchenbundes hatte zur Eröffnung der fünftägigen Synode am Freitag zudem die allgemeine Informationspraxis in der DDR kritisiert. Häufig werde nur einseitig über positive Tendenzen berichtet, denen persönliche Eindrücke durchaus nicht immer entsprächen. Heftige Reaktionen unter den Synodalen rief ein Antrag hervor, den der Erfurter Propst Heino Falcke aus einer Ost–Berliner Gemeinde zur Bearbeitung eingebracht hatte. Darin wird eine „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung“ erteilt und die Forderung nach mehr Freizügigkeit nach Ost und West hin erhoben. Gefordert wird im einzelnen: Die volle Wiederherstellung der Reisemöglichkeiten zwischen Polen und der DDR wie in den Jahren 1972 bis 1980, rechtlich garantierte Reisefreiheit in westliche Länder für DDR–Bürger unabhängig von Alter, beruflicher Stellung, familiären Anlässen und politischer Einstellung, eine Diskussion über die wirtschaftspolitischen und finanzwirtschaftlichen Probleme im Blick auf die Reisepraxis gegenüber westlichen Ländern sowie die Begründung bei Ablehnungen von Reiseanträgen. „Die Isolation der nachwachsenden Generation vom Leben ihrer internationalen Mitwelt“, heißt es in dem Papier, „bildet nach 26 Jahren Mauer und nach sechs Jahren Trennung von Polen den Nährboden für Zerr– und Feindbilder.“ In der Aussprache äußerten mehrere Synodalen Bedenken wegen des Zeitpunktes, da eine Politik der Öffnung in Gang gekommen sei. Falcke sagte, die 211 Eingaben an die Synode zu diesem Antrag zeigten, „daß hier wirklich eine Wunde unserer Gesellschaft berührt ist“. Der Öffnung nach außen müsse eine Politik der Öffnung und Offenheit nach innen entsprechen. Die Politik der Öffnung verschärfe auch Widersprüche: „Je weiter die Entspannung fortschreitet, je normaler Gespräche und Besuche zwischen Ost und West werden, desto monströser steht die Mauer in der politischen Landschaft. In der Diskussion wurde von mehreren Rednern eingeräumt, daß die Wirkung eines solchen Antrages anders als erwünscht sein könnte. Superintendent Ludwig Große aus dem thüringischen Saalfeld sagte dazu: „Ich fürchte, wir haben mit dem Vorgehen jetzt denen in unserem Lande und in anderen Ländern keinen Dienst erwiesen, die auf dem Wege der Öffnung Unterstützung, nicht Stöße, auch nicht Anstöße in diesem Augenblick brauchen.“ Der Vorsitzende des Kirchenbundes, der thüringische Landesbischof Werner Leich, vertrat die Auffassung, daß die Synode sich diesen Antrag auch nicht „nach Intention und Inhalt zu eigen machen“ könne. FORTSETZUNG VON SEITE 1
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