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„Hautnah heran, heraus, hineinmarschieren“

„Bayerns Polizei ist die beste“ / Vorführung der nach den Schüssen an der Startbahn im Freistaat aufgestellten Sonderkommandos / Die Polizei geht mit neuer Ausrüstung in die Offensive / Demonstration als Störfall  ■ Aus München Bernd Siegler

Treffpunkt: Fürst-Wrede-Kaserne, München, Parkplatz. Ein Konvoi von etwa 20 Wannen, Jeeps und anderen Polizeieinsatzfahrzeugen setzt sich mit Blaulicht und Martinshorn in Bewegung. Auf dem Weg zur Grenzschutzfliegerstaffel in Oberschleißheim springen mehrmals vermummte Personengruppen im Schutz der Finsternis aus dem Wald und bewerfen die vergitterten Wannen mit Farbbeuteln, Holzprügeln und Steinen. Der Fahrer zeigt keine Reaktion. Gelassen schaltet er nur den Scheibenwischer ein. Die Insassen, Vertreter des Innenministeriums und Journalisten, die der Einladung zur „Vorführung der Unterstützungskommandos (USK) der bayerischen Polizei“ zahlreich gefolgt sind, sind vom Lärm beeindruckt. „Sie sollen auch einmal erleben, wie es den jungen Beamten bei der Anfahrt zum Einsatz geht“, erläutert Alfons Metzger, Pressesprecher des Innenministeriums, den Sinn dieser Demonstration.

Am Ziel angekommen, ertönen Sprechchöre: „Wir wollen keine Bullenschweine“. Etwa 200 „Demonstranten“ haben eine Barrikade errichtet. Ohne Anlaß fliegen Mollies und Holzscheite, Feuerwerkskörper detonieren. Doch dann kommen sie, die neuen Mannen der bayerischen Polizei – und alles geht blitzschnell. Ein Panzerfahrzeug durchbricht das brennende Hindernis, dahinter die neuen Sondereinheiten. Im Nu sind die „Störer“ überwältigt, während Wasserwerfer noch das Feuer löschen, sind die Medienvertreter schon unterwegs zur nächsten Station. The show must go on. Hier muß ein eingeschlossener Polizeijeep befreit werden, ein von „Störern“ geschützter Lautsprecherwagen aus einer Demonstration gelöst, und „besonders aggressive Gewalttäter aus einem Störerblock“ müssen festgenommen werden. The show must go on.

Die USKs wurden eilends nach den tödlichen Schüssen an der Startbahn-West mit den Stimmen der SPD aufgestellt. Die Show soll auch dem letzten Journalisten klarmachen, daß die weißblaue Polizei einfach „die beste“ ist – so Innenstaatssekretär Peter Gauweiler. Dazu hatten die Masken bildner der Polizei alle Hände voll zu tun. Täuschend echt sehen sie aus, die Punks mit gefärbtem Haar, die Autonomen mit Haßkappen und die sogenannten Friedlichen mit Palästina-Tüchern und sinnigen Plakaten wie „Rot ist die Liebe, blau ist uns lieber“ oder „Wir kommen vom Mars und Ihr?“. Die „Demonstranten“ entsprechen ebenso dem gängigen Polizei-Klischee wie die gestellten Situationen: Die Demonstration als Störfall der Ordnung schlechthin.

Nach den Worten eines zufrieden dreinblickenden Peter Gauweiler sollen die USKs „beweiskräftige Festnahmen an den Brennpunkten unfriedlicher Versammlungen und Zusammenrottungen“ durchführen. Die Kluft zwischen Festnahmezahlen und Verurteilungen war den bayerischen Staatsschützern schon lange ein Dorn im Auge. Die „beweissichere Dokumentation“ mit Video und Kameras erhält daher einen zentralen Stellenwert in der Ausbildung der USK. „Vom statischen Modell weg, hin zum offensiven, aggressiven Vorgehen“, erläutert Ministerialdirigent Häring die neue Marschorder. „Hautnah an die Störer heranfahren, herausspringen und in den Störerbereich hineinmarschieren“, ereifert er sich über die „Einsatzphilosophie der USK“. „Aus Motivationsgründen“ wird der USKler später über den Stand der Ermittlungen und etwaige Urteile auf dem laufenden gehalten.

Der Verzicht auf störende Schutzschilder wird mit sogenannter passiver Bewaffnung kompensiert. Bei deren Auflistung gerät der Münchener Zugführer ins Schwärmen. Nichts erinnert äußerlich mehr an das martialische Auftreten der Berliner Sondereinheiten bei den Herbstaktionen in Wackersdorf. Alles ist unter dem neuen Overall versteckt. Zur serienmäßigen Ausstattung gehört die bis zum Kaliber von 9mm schußsichere Weste ebenso wie Knie-, Arm- und Schienbeinschoner, Trecking- Schuhe sowie modernster Schutzhelm und Atemschutzmaske. „Das Beste auf dem Markt war gerade gut genug“, brüstet sich der Zugführer und stattet seinem Staatssekretär noch einmal seinen „herzlichen Dank“ ab.

Zwischen den Show-Einlagen spulen die USKs Trainingsprogramme in Blockformation ab. Ihre Durchschlagkraft wird sinnfällig demonstriert an mehreren mit bloßer Hand durchgeschlagenen Holzstücken. Die Kampfschreie „Huh“, „Hoh“, „Tsi“ erinnern an südostasiatische Truppenausbildung. Schnell machen Kampfsporteinlagen und „Stock- und Blocktechniken“ klar, daß der alte Schlagstock passe ist. Die neue Version heißt jetzt „Räum- und Abdrängstock“ und ist fast einen Meter lang.

Insgesamt befinden sich 619 USKler im Freistaat. Sie sind nicht nur für „Typen von der Struktur eines Andreas Eichler“ (Gauweiler) gedacht, sondern auch für Skinheads oder Fußballrowdys. „Freiwilligkeit, sportliche Fitness, Reaktionsschnelligkeit und Grundveranlagungen“ nennt der Staatssekretär als Kriterien für die Rekrutierung der USKs. Daß die Freiwilligkeit mit monatlichen Zulagen gefördert wurde, räumt er ein.

Bevor Gauweiler das Demonstrant-und-Gendarm-Spiel mit einem knappen „Essen fassen“ beendet, läßt er es sich nicht entgehen, für die Fotografen inmitten geschminkter „Punks“ mit geballter Faust zu posieren.

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