Hausprojekt Liebigstraße 14 droht Räumung: Zum Tee im Terrornest
"Bild" wittert in der Liebigstraße 14 ein "Terrornest". Der Eigentümer des einst besetzten Hauses in Friedrichshain hat den BewohnerInnen gekündigt. Nun droht die Räumung. Auslöser des Konflikts ist eine Tür. Die taz guckt dahinter
Wenn das Wohnen zum Halbtagsjob wird, wenn sie mehr als 20 Stunden Arbeit in den Ort steckt, an dem sie lebt, dann hängt Katja manchmal ein Schild an die hohe Flügeltür ihres Zimmers im zweiten Stock. "Bitte nicht stören", steht darauf. Spricht sie dann im Flur jemand auf das nächsten Küchenplenum an, auf die Vorbereitung des Hausfestivals oder die fälligen Abrechnungen, dann sagt sie: "Entschuldige, ich möchte gerade nichts davon hören." Solche Tage sind selten, aber sie kommen vor - es ist eins der Dinge, die Katja in der Liebigstraße 14 gelernt hat: Sich auch mal zurückzuziehen. Selbst, wenn es mehr als genug zu tun gäbe: Flyer kopieren, Aufräumen, Veranstaltungen planen.
Vor drei Jahren, als Katja nach Berlin zog, kam sie zum ersten Mal zum Kaffeetrinken ins Hausprojekt an der Liebigstraße in Friedrichshain kam. Sie hatte vorher in einer großen Wohngemeinschaft mit politischem Anspruch gewohnt, "mindestens so weiterleben" war ihr Ziel. Kurz darauf trug sie ihre Umzugskartons die Treppe hoch.
Ursprung: Im Wendejahr 1989/90 wurden in Ostberlin mehr als 120 Häuser besetzt. Etwa 30 davon wurden später geräumt, rund 90 jedoch legalisiert: Sie schlossen meist einen Mietvertrag mit dem Eigentümer. Viele bekamen allerdings nur klassische Mietverträge pro Wohnung, was der Realität im kollektiv bewohnten Haus schon damals nicht entsprach.
Aktuelle Probleme: Die Häuser, die erst nach der Wiedervereinigung besetzt wurden, wurden fast immer sofort von der Polizei geräumt. Bei den legalisierten Häusern haben inzwischen oft Eigentümer wie auch Bewohner mehrfach gewechselt, ohne dass die Verträge der Realität angepasst wurden.
Eine Kiste wird sie in den nächsten Tagen wieder heruntertragen. Es widerstrebt ihr, wie allen im Haus, aber im Kopf stellt Katja den Inhalt bereits zusammen: Welche wichtigen Dinge sollte sie besser bei Freunden unterstellen? Katja wird nicht ausziehen, aber sie weiß, dass die Liebigstraße 14 nicht mehr sicher ist. Zwar überweisen die 25 BewohnerInnen monatlich die Mieten. Doch ihr Vermieter hat die Verträge gekündigt. Alle Klagen dagegen sind vor Gericht gescheitert. Der Räumungsbescheid kann jeden Tag kommen, dann haben sie noch drei Wochen. Am Donnerstag soll noch einmal an einem runden Tisch in der Friedrichshainer Auferstehungsgemeinde über die Zukunft des Hauses verhandelt werden. Aber es ist unwahrscheinlich, dass die Eigentümer überhaupt daran teilnehmen.
Während Katja schwarzen Tee kocht, läuft Clara sechs Treppen herunter, um die Haustür zu öffnen. Im Eingang stehen mehr als ein Dutzend Fahrräder, darüber hängen schwarz-rote Wimpel. Die 29-jährige Handwerkerin behält den Schlüsselbund in der Hand. Auf dem ersten Treppenabsatz öffnet sie eine zweite Tür, die samt Rahmen in den Aufgang eingebaut ist. "Das ist die berühmte Tür", sagt Clara.
Die Tür auf dem Treppenabsatz bedroht das Hausprojekt Liebigstraße 14. Die Lila GbR, der das Haus gehört, hatte eine unrechtmäßig eingebaute Tür bemängelt, zu der der Vermieter keinen Schlüssel habe. Das war 2007 der Kündigungsgrund. Die Gerichte erklärten das nach und nach für rechtmäßig. Das letzte Urteil fiel im November 2009. Dabei war die Tür schon da, als Suitbert Beulker und Edwin Thöne, die Gesellschafter der Lila GbR, das Haus 1999 kauften. Sie wurde schon 1990, kurz nach der Besetzung des Hauses, eingebaut. Sie blieb, als die BewohnerInnen 1992 Mietverträge bekamen.
Die Tür auf dem Treppenabsatz unterscheidet die Liebigstraße von einem normalen Altbau. Das Treppenhaus ist hier Wohnraum. In der ersten Etage ist die Infowand mit Neuigkeiten aus dem Haus in Englisch, der einzigen Sprache, die hier alle sprechen. In der zweiten Etage kann man sich auf der "Freebox" ein Skateboard, Fenstermalfarbe oder ein Buch von Juli Zeh umsonst mitnehmen.
"Der Knackpunkt ist, dass wir schon lange darüber geredet haben, dass unsere Verträge nicht zu der Form passen, wie wir wohnen", sagt Katja. Sie läuft morgens im Schlafanzug zwei Treppen hinauf ins nächste Stockwerk, um zu duschen, dann geht sie sie im Handtuch wieder herunter. Dass Zimmer, Bad und Küche, die man benutzt, in verschiedenen Wohnungen sind, ist in der Liebigstraße 14 normal.
Nach dem eigentlichen Kündigungsgrund würden viele gern Suitbert Beulker fragen. Franz Schulz, Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, zum Beispiel oder der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele (beide Grüne). Es liegt die Vermutung nahe, dass er mit dem Projekt wenig verdient. Dass sich ein leeres Haus leichter verkaufen lässt. Beulker hat auf kein Gesprächsangebot reagiert.
Der zweite Eigentümer Edwin Thöne sagte, er sei nur stiller Gesellschafter. Auch er könnte eine Räumung verhindern, die BewohnerInnen hatten lange auf ihn gehofft. Er ist Geschäftsführer des Kinderschutzbundes in Unna. Aber als BewohnerInnen sich in der vergangenen Woche zu einer Kundgebung vor der Bundesgeschäftsstelle in Berlin trafen, hatte der Kinderschutzbund vorsorglich geschlossen. Aus "administrativen Gründen" stand an der Tür. "Wegen der Kundgebung", sagte die Polizei. Katja klingelte, die Mitarbeiter, die da waren, schüttelten hinter der Glastür den Kopf. Sie steckte den offenen Brief, in dem Politiker aus dem Bezirk Beulker und Thöne auffordern, an dem runden Tisch teilzunehmen, in den Briefkasten. "Sie haben Angst vor uns", sagt Katja.
Razzia und schlechte Presse
Das Hausprojekt hatte nicht nur gute Presse in letzter Zeit. Nachdem ein junger Friedrichshainer wegen des Verdachts, ein Auto angezündet zu haben, festgenommen wurde, durchsuchte die Polizei die Liebigstraße 14. Die Bild witterte dort ein Terrornest. Deshalb haben sich Katja und Clara über einen kleinen Artikel im Berliner Tagesspiegel vor ein paar Wochen besonders gefreut. Er handelte von der Straßenkreuzung vor ihrem Haus, dem "Epizentrum der Revolution". Darin wurde die Bäckerin von gegenüber zitiert. Sie sagte, die fände die Linken "total nett". "Das war süß", sagt Clara.
Sind sie isoliert? Clara wiegt den Kopf, schüttelt ihn langsam. Selbst wenn die Eigentümer am Donnerstag nicht kommen sollten, werden sich die Hausbewohner mit Friedrichshainer Initiativen und Politikern an einen Tisch setzen, ein ehemaliger Pastor wird moderieren. Und dann gibt es noch das Festival mit Ausstellungen und Konzerten im Haus, eine Woche lang ab 28. Januar. Als die Idee das erste Mal ins Plenum kam, waren die Reaktionen skeptisch. Zivilpolizisten könnten sich mit den Besuchern im Haus umschauen, fürchteten einige. Am Ende haben sich alle, manche zähneknirschend, für die Öffnung entschieden.
Auch deshalb, weil sie ihr Problem als Stellvertreterkonflikt sehen und wissen, dass sie mehr Lärm machen können als ein einzelner Mieter, der ähnliche Probleme hat. Wenn es die Hausprojekte in Friedrichshain nicht mehr gäbe, würde Katja hier nicht mehr wohnen. "Zu weiß, zu homogen", sagt sie über den Kiez. Die Liebigstraße 14 sei ein Mikrokosmos, an dem man das sperrige Wort "Gentrifizierung" sichtbar machen könne.
In diesen Tagen treffen sich die BewohnerInnen zu vier bis fünf abendlichen Plena pro Woche, normalerweise ist eins die Regel. Es funktioniere dennoch ganz gut momentan, sagt Katja, weil viel über praktische Dinge geredet werde. Sie würde gern mal darüber sprechen, welche Vorstellung man eigentlich vom Zusammenleben hat.
Clara und Katja haben viele Krisen mit der Liebigstraße 14 gehabt, Beziehungskrisen. Sie sind beide Menschen, die schnell Verantwortung übernehmen, die Aufgaben sind ungleich verteilt. Die BewohnerInnen bilden Arbeitskreise - die Mietangelegenheiten müssen verwaltet werden, Veranstaltungen organisiert, die Homepage bestückt. Clara ist in fast allen Arbeitskreisen. Nach sechs Jahren hat sie keine Lust mehr, wieder und wieder darüber zu reden, wie man eine Küche organisiert.
Aber das Zusammenleben, die stundenlangen Plena haben Katja und Clara eins beigebracht: Kommunikation. Es ist spürbar, wenn sie am Küchentisch sitzen, Clara auf dem Sofa, Katja auf dem Stuhl, und miteinander reden. Clara ist die Leisere, Überlegtere, Katja wartet auf sie, achtet darauf, dass sie ausgeredet hat, bevor sie zum Sprechen ansetzt.
Trotz allem, trotz sechs Jahren Hausprojekt, kann Clara sich schon vorstellen, alleine zu wohnen, eine Zeit lang. "Das wäre wie Urlaub", sagt sie. Aber wenn sie nicht nach Hause zurück kann, hat sie keine Lust auf Urlaub.
Hausbewohnerin Katja
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Verbotskultur auf Social Media
Jugendschutz ohne Jugend