Haushaltsdebatte im Bundestag: Vier Koalitionäre üben sich im Kuscheln
Schwarz-Rot, Jamaika oder Ampel? Trotz pflichtschuldiger Polemik halten sich in der Generaldebatte über den Haushalt alle alles offen. Nur die Linke gehört zu dem Spiel noch nicht dazu.
Alle schauen auf Franz Müntefering. Alle beobachten, wie der designierte Parteivorsitzende in den hinteren Reihen der SPD-Fraktion Hof hält, erst mit dem Generalsekretär Hubertus Heil spricht, dann mit dem Arbeitsminister Olaf Scholz, schließlich mit dem Umweltminister Sigmar Gabriel. Wie er schließlich nach den ersten Reden den Plenarsaal verlässt, noch bevor der Sonnenstrahl aus der Reichstagskuppel seinen Platz erreicht und ihn als Eminenz der SPD ins grelle Licht gerückt hätte.
Nicht dass Müntefering irgendetwas anders gemacht hätte als sonst. An den Sitzungen hatte er auch nach seinem Rücktritt als Vizekanzler teilgenommen, und das Wort ergriffen hat er am Mittwoch in der Generaldebatte über den Bundeshaushalt nicht. Aber es ist die personifizierte Drohung des bevorstehenden Wahlkampfs, die jetzt in Gestalt Münteferings am Rande des Plenarsaals Platz genommen hat, während die Redner von Union und SPD vorne am Rednerpult die Stabilität der großen Koalition beteuern.
Der Kanzlerkandidat dagegen spricht. Aber Frank-Walter Steinmeier antwortet nicht auf die Kanzlerin, die an diesem Tag mal wieder die "Bildungsrepublik Deutschland" beschwört. Er spricht über sein eigenes Ressort, die Außenpolitik. Er redet zwanzig Minuten lang, ohne ein einziges Mal den Namen einer politischen Partei in den Mund zu nehmen. Wahlkämpfe kommen zwar vor, aber nur auf dem Balkan, wo es gilt, "den Europa aufgeschlossenen Demokraten zum Sieg zu verhelfen".
Dann plötzlich passiert es doch: Steinmeier reagiert auf die politische Konkurrenz, er kritisiert den Grünen Fritz Kuhn für seine Kritik an der Afghanistan-Politik. Interessant daran ist, auf welche Weise er es tut: Ganz demonstrativ duzt er den Fraktionschef, als wolle er zeigen, dass SPD und Grüne sowieso zusammengehören, dass jede Auseinandersetzung zwischen ihnen nur eine Diskussion innerhalb des gleichen Lagers ist und kein politischer Grundsatzstreit.
Überhaupt das Werben um die Kleinen. Es gehört zum Ritual der Generaldebatte, dass Opposition und Regierung einander wenig schenken. Auffällig aber ist diesmal, wie sehr die Redner von SPD und Union bemüht sind, FDP und Grüne möglichst gleichberechtigt zu behandeln. "Die Menschen bewegt nicht die Frage, wann Sie in die Regierung eintreten wollen", rügt Unions-Fraktionschef Volker Kauder die FDP - um im nächsten Atemzug die Grünen zu belehren: "Elektroautos fahren nicht durch Schieben, sondern nur durch Strom."
Umgekehrt machen es die Kleinen genauso. FDP-Chef Guido Westerwelle kritisiert nicht nur die amtierende CDU-Kanzlerin Angela Merkel fürs tatenlose Auskosten des Wirtschaftsaufschwungs, sondern im gleichen Atemzug auch SPD-Vorgänger Gerhard Schröder. Den Weg zur Ampel oder nach Jamaika halten sich alle offen, eine Fortsetzung der großen Koalition sowieso. Man wird ohnehin den Verdacht nicht los, dass sich die Redner von Union und SPD für die Harmoniebekundungen hier drinnen weniger verbiegen müssen als für ihre markigen Wahlkampfsprüche draußen.
Nur zwei gehören nicht so recht dazu an diesem Tag im Parlament: die Linke und die CSU. Dass Gregor Gysi und Oskar Lafontaine nicht Teil der Kuschelrunde potenzieller Koalitionäre sind, das überrascht weniger. Erstaunlicher ist, dass CSU-Parteichef Erwin Huber es für ratsam hält, zehn Tage vor der Bayernwahl auf der Berliner Bühne aufzutreten - und damit nur seine hauptstädtische Bedeutungslosigkeit zu demonstrieren. Stundenlang sitzt der bayerische Finanzminister einsam auf der Bundesratsbank, bis er endlich an der Reihe ist. Dann redet er, von lustlosem Beifall begleitet, über sein Steuerkonzept. Bei der Pendlerpauschale applaudiert dann nur noch die CSU-Landesgruppe, die Kollegen von der CDU rühren sich kaum.
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