Haushaltsdebatte im Bundestag: Merkel duckt sich weg
In der Etatdebatte schweigt Kanzlerin Merkel über die FDP - und versucht die SPD in die Verantwortung fürs Finanzdesaster einzubinden.
Die Kanzlerin versinkt immer tiefer in ihrem Sessel. Bei den anderen Rednern hat sie noch gescherzt, geplaudert, sogar auf die Schenkel geklatscht. Bei Frank-Walter Steinmeier, bis vor kurzem ihr Vizekanzler und jetzt Oppositionschef, wird sie ganz still. Sie schiebt das Kinn nach vorn und lässt die Mundwinkel hängen, verschränkt die Arme oder faltet die Hände unter dem Kinn.
Die Schwarz-Gelben hätten immer behauptet, sagt Steinmeier, sie verstünden etwas von Wirtschaft und Finanzen. "Das glaubt Ihnen nach den ersten 100 Tagen keiner mehr." Merkel weiß, dass das stimmt, sie versinkt bei diesen Sätzen noch etwas tiefer in ihrem Sessel. "Vor einem Jahr hatten Sie noch Peer Steinbrück und Olaf Scholz", sagt Steinmeier. "Solche Leistungsträger fehlen Ihnen jetzt im Kabinett." Die Kanzlerin vermeidet den Blickkontakt zu ihren neuen FDP-Kollegen.
Auch Merkel selbst hat die Sozialdemokraten indirekt gewürdigt, zwei Stunden zuvor in ihrer eigenen Rede zur politischen Lage und zum neuen Bundeshaushalt mit seinen 85 Milliarden Euro Neuverschuldung, der höchsten in der Geschichte der Republik. Sie sagt nicht, wo die Regierung sparen will nach der nordrhein-westfälischen Landtagswahl im Mai. Sie redet lieber über die Krise, die zu den hohen Schulden führte, und bindet die SPD in die Verantwortung mit ein. "Die Welt hat 2008/2009 am Abgrund gestanden", sagt sie, "wir haben es geschafft, das Richtige zu tun." Ihr damaliger Finanzminister Peer Steinbrück sitzt jetzt in der viertletzten Reihe und wischt sich mit einem Stofftaschentuch den Schweiß von der Stirn. Applaudieren darf er sich selbst nun nicht mehr. Beifall spendet der neue Vizekanzler Guido Westerwelle, der damals Staatsversagen kritisierte.
Dann spricht Birgit Homburger, die neue Fraktionsvorsitzende der FDP. Sie hat ihre Stimme jetzt etwas besser im Griff als in der ersten Generaldebatte im alten Jahr, spricht nicht mehr ganz so schrill und schwäbelt etwas sanfter. Bei Merkel regt sich trotzdem ein Fluchtinstinkt, sie dreht sich auf ihrem Stuhl hin und hier, als wolle sie gleich aufstehen, bis ihr wieder aufzufallen scheint: Mit denen regiere ich ja jetzt.
Die grüne Fraktionschefin Renate Künast setzt auf Polemik, wirft der amüsierten Kanzlerin den Rückgriff auf "archaische Sitten von Stammesfürsten" vor, den "gemeinsamen rituellen Verzehr von rohem Fleisch" im Berliner Edel-Restaurant Borchardt. Was solls. Die Grünen müssen nicht originell sein, umworben werden sie sowieso. Innenminister Thomas de Maizière sucht demonstrativ ihre Nähe, Unionsfraktionschef Volker Kauder scherzt mit der Vorsitzenden Claudia Roth, der Sozialdemokrat Frank-Walter Steinmeier legt sowieso wieder Wert auf rot-grüne Gemeinsamkeit.
Ganz auf der Linken ist Charme zurzeit nicht angesagt. Dietmar Bartsch sitzt neben Gregor Gysi, der ihn vom Posten des Bundesgeschäftsführers mobbte und anschließend seinen Freund nannte. Sie reden nicht, sie sehen sich nicht an. Bartsch lehnt sich zurück und schaut auf sein Handy, Gysi beugt sich vor und studiert Akten. Mal redet der eine mit den Kolleginnen in der ersten Reihe, mal der andere, aber niemals beide miteinander.
Dann steht Stefan Liebich auf, der junge Realpolitiker der Linken aus Berlin, und verteidigt in einer Kurzintervention die Bildungspolitik in seinem Bundesland. Formal reagiert er auf einen Vorwurf Kauders, in Wahrheit will er jetzt erst recht die Gemeinsamkeit rot-roten Regierens demonstrieren. Er zwingt beide Parteien zu gemeinsamem Applaus, schließlich stellt die SPD in Berlin den Bürgermeister. Die Reformer bei der Linkspartei haben anscheinend noch längst nicht aufgegeben.
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