Haushalt: Verfassung ist alter Hut
Karlsruhe weist Klage gegen Haushalt 2004 zurück, fordert aber eine wirksamere Schuldenbremse in der Verfassung.
KARLSRUHE taz So deutlich gab's das wohl noch nie. Das Bundesverfassungsgericht hat gestern Bundestag und Bundesrat zur Änderung des Grundgesetzes aufgefordert. In der Verfassung müsse eine wirksame Bremse der Staatsverschuldung geschaffen werden. Die Klage der CDU/CSU und der FDP gegen den rot-grünen Bundeshaushalt 2004 wurde jedoch abgelehnt.
"Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten", heißt es in Artikel 115 des Grundgesetzes. Ausnahmen sind nur möglich "zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts". Auch im Jahr 2004 musste der Bundestag von dieser Ausnahmevorschrift Gebrauch machen. Während 43,5 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen wurden, gab der Bund nur rund 25 Milliarden Euro für Investitionen aus.
Die damaligen Oppositionsfraktionen CDU/CSU und FDP hofften deshalb auf ein Machtwort aus Karlsruhe. Doch der zuständige Zweite Senat hielt den Haushalt 2004 nicht für verfassungswidrig. Auch im Jahr 2004 habe eine "ernsthafte Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" bestanden. Die Binnenkonjunktur lahmte, die ohnehin hohe Arbeitslosigkeit stieg, da sei es verfassungsrechtlich vertretbar gewesen, hohe Schulden aufzunehmen, um nicht durch staatliche Sparmaßnahmen die Situation noch zu verschlimmern.
Allerdings kritisieren die Richter ganz offen das Grundgesetz, das sie eigentlich nur anzuwenden und auszulegen haben. An dessen "Reformbedürftigkeit" sei "kaum noch zu zweifeln", nachdem die Schuldenlast des Bundes fast vier Jahrzehnte lang nur gestiegen sei. Hier müssten wirksame Schuldenbremsen eingebaut werden, was jedoch Aufgabe von Bundestag und Bundesrat sei.
Drei konservative Richter gaben Minderheitsvoten ab. Richter Herbert Landau zeigte sich enttäuscht, dass die Richtermehrheit "jedes Bemühen vermissen lasse", der zunehmenden Verschuldung Grenzen zu setzen. Udo di Fabio und Rudolf Mellinghoff hielten den Haushalt 2004 für verfassungswidrig. Es habe gar keine außergewöhnliche Störung des wirtschaftlichen Gleichgewichts gegeben.
Bund und Länder richteten bereits im März eine neue Föderalismuskommission ein, die auch Verfahren zur Begrenzung der Haushaltsverschuldung beschließen soll. Finanz-Staatsekretär Karl Diller (SPD) sagte gestern in Karlsruhe, er sympathisiere mit der Idee, die Neuverschuldung auf die Höhe der Netto-Investitionen zu begrenzen. Dann müsste auch der Wertverlust und der Verkauf öffentlicher Einrichtungen berücksichtigt werden. Die Schuldenaufnahme würde so allerdings nur beschränkt, wenn es keine Wirtschaftskrise gibt.
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