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Archiv-Artikel

Hausbesuch bei alten Freunden

VON DAVID SCHRAVEN

Ein Bild aus dem Mai 2004. Die Zentrale des RAG-Konzerns in Essen wird mit einem Plakat verhüllt. Darauf hunderte Gesichter aus dem Ruhrgebiet. Nahezu zeitgleich erscheint die Titelseite der Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) in ähnlicher Aufmachung. Das ganze Spektakel bildet den Höhepunkt eines gemeinsamen Auftritts von Blatt und RAG bei der Bewerbung des Reviers um den Titel Kulturhauptstadt Europas 2010.

Der Gleichklang der beiden Kampagnenpartner hat Symbolkraft. Jahrzehntelang stand die WAZ an der Seite der Subventionsempfänger aus der Steinkohleindustrie. Die Kommentatoren im größten Blatt des Reviers warnten in der seit den 1980er Jahren zunehmenden Beihilfedebatte vor dem „Konflikt mit der Gewerkschaft“ oder freuten sich für die damalige Ruhrkohle AG im Namen des „Ruhrgebietes“ über den „politischen Rückhalt, auf den die Kohle in Bonn und Düsseldorf zählen darf“.

Mit dieser Pro-Kohle-Haltung ist seit kurzem Schluss. Der Linienwechsel der WAZ kündigte sich bereits 2004 an. An Stelle des Revierkindes Uwe Knüpfer wurde Ulrich Reitz zum neuen Chefredakteur des Flaggschiffes der WAZ-Gruppe berufen. Eine Personalie mit Folgen. Bei der Rheinischen Post hatte sich Chefredakteur Reitz einen Namen als Erneuerer gemacht, ständig auf der Suche nach frischen Denkansätzen. Auch bei der WAZ setzte Reitz auf eine neue Richtung. Das Blatt öffnete sich Kohlekritikern. Unter anderem ließ Reitz Anfang Juni im Vorfeld des geplanten RAG-Börsengangs über ein Gutachten des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) berichten, in dem die Wissenschaftler die „massive Mittelverschwendung“ durch die Kohlesubventionen beklagten. „Der deutsche Steinkohlenbergbau ist ein herausragendes Beispiel einer falschen Subventionspolitik“, hieß es in der WAZ. Ein bis dahin unerhörter Vorgang, der nicht ohne Folgen blieb.

Die Veröffentlichung der RWI-Kritik fiel in eine schwierige Zeit für die Kumpel. In NRW tobt seit Monaten ein politischer Kampf um die Zukunft der RAG. Während Vorstandschef Werner Müller sein Unternehmen im kommenden Jahr als milliardenschweres Konglomerat im DAX platzieren will und dafür eine langfristige Stabilisierung der Subventionen braucht, bemüht sich die NRW-Landesregierung um eine möglichst zügige Rückführung der Kohlehilfen. Allen voran will Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU) keinen Börsengang um jeden Preis.

Diese Auseinandersetzung wird hinter den Kulissen von einem Kampf um die öffentliche Meinung begleitet. Auf magische Weise verstummt in der Presse des Ruhrgebietes jede Kritik an den Plänen der RAG ganz schnell oder findet sich in Nischen wieder. Man munkelt in den Redaktionen von Besuchen RAG-Gesandter in den Chefetagen nach kritischen Kommentaren.

Auch die Berichterstattung über die Kritik des RWI in der WAZ blieb nicht ohne Wirkung. Am 28. Juni 2006, drei Wochen nach der Veröffentlichung, betrat RAG-Emissär Jörg Hüls um 14:00 Uhr das Büro des Essener Rechtsanwalts Stephan Holthoff-Pförtner, der unter anderem Geschäftsführer einer 50-Prozent-Beteiligung an der WAZ-Gruppe ist. Es sollte ein Gespräch unter Freunden werden, hatte Hüls angekündigt. Als ehemaliger Bild-Chef von NRW kennt der Journalist den prominenten Anwalt seit Jahren.

Jetzt allerdings kam Hüls in anderer Mission. Nach seinem Ausscheiden aus dem Springer-Verlag Ende 2005 war der Journalist in die Dienste der RAG getreten. Offiziell kümmert sich Hüls für die RAG um die Vermarktung des Konzernengagements beim Bundesligaklub Borussia Dortmund. Inoffiziell tritt der Boulevard-Profi aber als Lobbyist auf. So auch beim Nachmittagstermin in der Essener Kanzlei.

Es wurde kein Gespräch unter Freunden, wie man sich im Umfeld von Holthoff-Pförtner erinnert. Es ging ums Geschäft. Anwalt Holthoff-Pförtner, der CDU-Mann, gilt als einer der mächtigsten Männer im Revier, mit exzellenten Verbindungen in die nordrhein-westfälische Landesregierung. Hüls habe gegenüber dem Anwalt die RAG-kritischen RWI-Berichte moniert, erinnert man sich im Holthoff-Pförtner-Umkreis. Es ging also um eine „zu einseitige“ Berichterstattung und darum, RAG-Werbung in der WAZ zu überdenken, wenn nicht sensibler mit Artikeln umgegangen werde. Sprich: Wenn die Zeitung nicht anders berichte, müsse der Verlag damit rechnen auf Anzeigen zu verzichten, die der Kohlekonzern im Zuge seines Börsengangs in den großen Blättern der Republik schaltet. Nach Branchenschätzungen liegt der Etat für die Werbekampagnen des Subventionsriesen im hohen zweistelligen Millionenbereich.

Aus dem Umfeld von Holthoff-Pförtner heißt es, der Anwalt habe das Gespräch als Drohung verstanden. Persönlich wollte sich der WAZ-Mächtige nicht zu dem Thema äußern. Auch aus der Chefredaktion der WAZ wird von Einflussversuchen des Ex-Bild-Mannes berichtet. So erinnert man sich im Kreis der WAZ-Spitzenjournalisten an einen Hüls-Besuch in der Verlagsführung. Bei dem Gespräch habe der RAG-Berater gesagt: „Ihr wisst gar nicht, was euch entgeht. Habt ihr gesehen, was in anderen Blättern lief. Da geht es um Millionen.“

Seit dem Sommer schaltet die RAG in etlichen NRW-Blättern eine große Kampagne rund um den Fussballclub BVB Dortmund. Aus der Chefredaktion heißt es, die WAZ-Verlagsspitze habe sofort auf stur geschaltet; solchen Einflussversuchen dürfe man nicht nachgeben. Offiziell wollte sich WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz nicht zu den Informationen aus der Chefredaktion äußern. Er sagte lediglich: „Anzeigen sind nicht die Prämie für wohlfeile Berichterstattung, sondern ein Geschäft.“

RAG-Berater Hüls bestreitet diese Darstellung. Er habe mit Holthoff-Pförtner nicht über Anzeigen gesprochen, auch nicht über die RAG-Berichterstattung in der WAZ. Gegen „Unterstellungen“ werde er sich „juristisch verteidigen“. Im gleichen Ton bestreitet die RAG, dass sie über ihren Berater Einfluss auf die WAZ nehmen wollte. Überhaupt könne man zum Besuch von Hüls bei Holthoff-Pförtner nichts sagen, da „Herr Hüls, außer für die BVB-Beratung, weder im Auftrag noch mit Mandat unseres Hauses tätig ist“, teilte die RAG-Pressestelle auf taz-Anfrage mit.

Ende August berichtete der Focus über „Werner Müllers Anzeigen-Gegengeschäft“. Unter Berufung auf die Geschäftsführung des WAZ-Verlages schrieb das Münchner Nachrichtenmagazin, „im Frühsommer sei sogar ein RAG-Emissär bei einem WAZ-Gesellschafter gewesen und habe mit Hinweis auf andere Blätter mit Millionen schweren Anzeigenaufträgen gelockt“.

Der Leiter der RAG-Kommunikationsabteilung, Christian Kullmann, verwies die Focus-Recherche „ins Reich der Fabeln“. Im Jahre 2005 habe die RAG bei der WAZ Anzeigen im Wert von 908.000 Euro geschaltet, in den ersten sieben Monaten des laufenden Jahres seien es bereits 1,149 Millionen Euro gewesen. Können Fakten lügen? Alle Vorwürfe über angebliche Anzeigenboykotte seien „absurd und in der Sache falsch“, so Kullmann.