Hausbesuch auf einem Einödhof: „Alltag gibt’s bei uns nicht“
Merkel? „Die war noch nie hier. Ich kenn sie nicht“, sagt Otto. „Ich wünsche sie mir im Dirndl“, sagt Klara. Otto: „A Preiß im Dirndl?!“ Zu Besuch bei Familie Frisch.
Der Einödhof Waldeck, Landkreis Cham, im Markt Lam im Bayerischen Wald, zu Hause bei Anna (31), Josef (32), Karolina (5), Klara (56) und Otto (57) Frisch, den Hunden Andra (Deutsch Drahthaar, 10), Hansi (Dackel, 11), Sissi (Drahthaar-Dackel-Mix, 8) und Prinz („Treppenstufenmischung“, 7), vier Pferden (Quarter Horse, „Otto ist der letzte Cowboy im Bayerischen Wald“) sowie zahl- und namenlosen Hühnern („Im Sommer haben wir auch Gänse“).
Draußen: Ein langgezogener Einödhof („Seit 1566 in Familienbesitz“) am Hang mit einer breiten, steinernen Terrasse („die Gräd“), ein Vordach aus dunklen Holzbalken, in der Mitte der Terrasse ein großer Brunnen („der Oasch“) mit fließendem Wasser und zwei Becken (diente früher als Pferdetränke). Eine Ebene tiefer eine zweite Terrasse mit 26 Sitzplätzen für die Sommergäste („Vor dem Haus kreuzen fünf Wanderwege“), davor eine grüne Wiese mit knorrigen Bäumen, Sandkasten und Schaukel, links das Backhaus mit dem alten Holzofen („40 Laib Brot passen da rein“).
Drin: Im ehemaligen Stall eine rustikale Gaststube (Anna: „Früher waren hier die Rindviecher, jetzt haben wir andere Gäste“). Im Haupthaus eine geräumige Wohnküche mit tickender Kuckucksuhr und holzbefeuertem Ofen („Wammsler“), darauf gusseiserne Pfannen mit Bratkartoffeln, gebratener Forelle und Stockerle (Kartoffelnudeln), auf der Anrichte ein offenes Glas Apfelmus („Bei uns isst jeder zu einer anderen Uhrzeit. Da muss das Essen warm bleiben“), daneben eine moderne, vollautomatische Kaffeemaschine. Im Eingangsbereich ein ausgestopfter Auerhahn. In der guten Stube nebenan: zwei wurmstichige Holztische, ein Ofen mit Stangen zum Wäschetrocknen, an den Wänden abstrakte Gemälde („Klara ist Künstlerin“).
Wer macht was? Anna betreibt die Brotzeitstube am Waldeck („Das war Berufung“) mit ihrem Mann Josef. Otto ist Forstwirt („Wir leben vom Holz“), Klara ist Holzbäuerin und kümmert sich um Garten, Stall und Tiere (Anna: „Hier muss jeder alles machen, sonst könnten wir nicht überleben“). Karolina kommt nächstes Jahr in die Schule.
Wer denkt was? Josef: „Hoffentlich ist das Kind gesund.“ (Anna ist im fünften Monat schwanger.) „Zwei oder drei dürfen es schon noch werden.“ Anna: „Werden meine Kinder auch noch so traditionell leben können wie wir?“ Klara: „Wenn der Nationalpark im Bayerischen Wald immer stärker ausgeweitet wird und sich der Borkenkäfer vermehrt, ist unsere Lebensgrundlage bedroht.“ Otto: „Der Ertrag fürs Holz wird immer schlechter. Und der Klimawandel macht den Fichten zu schaffen.“ Karolina: „Welches Dirndl soll ich fürs Foto anziehen? Das für Sonntag oder das für Werktag?“
Diesen Text lesen Sie in der taz.am wochenende vom 1./2. Juni 2013. Darin außerdem: Die Titelgeschichte „Die neuen Habenichtse“ über Internetunternehmer, die das Zeitalter des Haben-Wollens überwinden wollen. Die Affenforscherin Jane Goodall über die Ähnlichkeit von Menschen und Schimpansen. Und: Wie ein Islamist mit einem Telefonstreich den größten Terroralarm seit der RAF auslöste. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Anna: Geboren und aufgewachsen auf dem Einödhof ihrer Eltern („Keine Uhren, kein Fernseher, drei Schwestern zum Spielen, all die Tiere, der Wald: traumhaft!“), Realschule, Lehre zur Hotelfachfrau in Aurach („Pünktlich zu sein fiel mir am Anfang schwer“), dann zusammen mit Josef in die Schweiz. 2004 kamen sie zurück (Klara: „Ich hab auf die Anna gehofft“).
Josef: Geboren und aufgewachsen in Lam („Meinem Vater gehört das Gasthaus am Marktplatz“), schon als Kind arbeitete er mit („Das ergibt sich“), Kochlehre im Hofbräu in Bodenmais, dann in die Schweiz, im ersten Jahr allein, im zweiten dann mit Anna („Die erste gemeinsame Wohnung“).
Das erste Date: „Das war eigentlich ungewollt“, sagt Anna. „Wir kannten uns aus dem Dorf, aber ich war meist mit seinem Bruder unterwegs.“ Eine durchfeierte Nacht, morgens um halb vier stieg die Clique auf den Hausberg (1.293 Meter). Josef: „Der Sonnenaufgang ist herrlich.“ Anna: „Am Osser hat’s gefunkt.“ Josef „…“. Beide waren noch in der Lehre, Schichtdienst („Wir mussten uns nachts treffen“).
Die Hochzeit: Am 18. August 2007. Anna: „Wunderschön.“ Trauung in der Kapelle des Nachbarn, Feier auf der eigens umgebauten Tenne (Josef: „Vier Wochen Arbeit“), Lagerfeuer, Tanzlmusi, die Hochzeitsgesellschaft in Tracht („Festtagsgewand“), das Buffet auf einem alten Heuwagen, Spanferkel, Brautentführung. Josef nahm Annas Nachnamen an (Anna: „Das hat er meinem Vater geschenkt. Bei vier Töchtern wäre ’Frisch‘ sonst ausgestorben“). Drei Tage flittern am Wörtersee.
Der Alltag: Anna und Klara: „Alltag gibt’s bei uns nicht. Es ist immer was anderes los“. Klara steht um sechs Uhr auf und versorgt die Hühner. Otto steht um halb sieben auf, Frühstück, dann mit Jagdhündin Andra in den Wald („Jeder Stamm wird einzeln geschlagen“). Oft begleitet ihn Klara (Bäume entasten, Holz klein schneiden und aufschichten). Anna und Josef können unter der Woche ausschlafen. Das Gasthaus ist nur von Freitag bis Sonntag geöffnet. Josef: „Es ist immer was zu tun“, der Garten, die Viecher, die Kinder, der Hof. Mittags kocht Klara für die ganze Familie. Nachmittags geht Otto wieder in den Wald, nach dem Abendbrot auf die Jagd („Wir essen zweimal die Woche Wild“). Wenn Zeit bleibt, spielt Klara auf dem Cello („Dann streiche ich das Holz“) oder malt.
Wie finden Sie Merkel? Anna: „Ich find’s super, dass mal eine Frau an der Spitze ist. Sie gibt ihr Bestes.“ Josef: „…“ Otto: „Die war noch nie hier. Ich kenn sie nicht. Horst Köhler kann ich besser beschreiben, der war schon mal bei uns zu Gast.“ Klara: „Ich wünsche sie mir ein bisschen weiblicher, im Rock oder im Dirndl zum Beispiel.“ Otto: „A Preiß im Dirndl?!“
Wann sind Sie glücklich? Anna und Josef: „Wenn alle Arbeiten erledigt sind.“ Otto: „Wenn ich mit dem Pferd unterwegs bin.“ Klara: „Wenn alle gesund sind, also fast immer.“ Karolina: „Wenn der Opa still hält und ich ihn fürs Foto kämmen darf.“
■ Nächste Woche treffen wir Christian Böß in Bad Camberg, Hessen. Wenn Sie auch besucht werden möchten, schicken Sie eine Mail an hausbesuch@taz.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist