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Hausbesuch Vanessa Liebeck lebt mit Freund und Kind im Taunus. Sie ist Diplompädagogin und hat beim ErzieherInnenstreik mitgemacht. Den ausgehandelten Schlichterspruch hält sie für eine FrechheitKritischer Geist in idyllischer Landschaft

Von Alina Leimbach (Text) und Markus Kirchgessner (Fotos)

Zu Besuch bei Vanessa Liebeck in Karben-Petterweil im Taunus.

Draußen: „Soll ich dich vom Bahnhof abholen?“ Um nach Karben-Petterweil zu kommen, hilft nur ein Auto – der Bus kommt nicht oft. Dafür ist Vanessa Liebecks Lebensort umso idyllischer gelegen. „Eine Häuserreihe, hinter der Pferdekoppel“. Das Haus selbst ist ein 50er- Jahre-Bau, direkt neben dem Haus der Eltern ihres Partners. Flach, kompakt, eingeschossig. „Pastellgelb, nein cremefarben mit Rohputz.“

Drin: In der Küche hängt ein verblichenes Poster „Kochen nach den fünf Elementen“. Dazu gemusterte Kacheln neben dem Brotkorb im 70er-Jahre-Orange. Überall hängen Fotos: mal Vanessa mit dickem Bauch vor der Geburt, mal mit ihrem Freund Jürgen, mal ohne. Die Schwester im Hochzeitskleid vor der Kirche, neben einem Bild von Anton und seinem Fußabdruck im Sand. Auf dem Fensterbrett steht Antons Taufkerze, eine Sonne, die mit Regenbogen über der Arche Noah. Der Fernseher ist im Schrank.

Wer macht was? Vanessa ist Diplompädagogin. Während des Hausbesuchs war sie gerade im Streik der SozialarbeiterInnen. Die Arbeitsbedingungen von ErzieherInnen und Sozialbeschäftigten gehen ihr gehörig auf die Nerven (“So ein anstrengender Beruf und so eine geringe Wertschätzung“). Den Vorschlag der Schlichter, der derzeit auf dem Tisch liegt, hält sie für eine Frechheit. Sie ist empört, sie wird dagegen stimmen. „Nicht mal Inflationsausgleich ist das.“

In Frankfurt kümmert sie sich in einer Einrichtung der Stadt um Jugendliche. „Noch ungewohnt“, sagt sie. Davor hat sie immer jüngere Kinder betreut. Es ist nicht ihre erste Stelle in Frankfurt. Doch nur wenig Woche nach Arbeitsbeginn wurde sie damals mit Anton schwanger („Ungeplant“). Jürgen, ihr Freund, ist Sozialpädagoge. An dem Tag des Hausbesuchs tapeziert er gerade das Haus seiner Mutter nebenan. Er arbeitet Teilzeit, wie Vanessa. Anton, der Sohn, ist 15 Monate alt. Er mag Hunde, liebt Schläuche und Kabel (“Eine Höllenarbeit, auf ihn aufzupassen“). Und „immer will er raus“ in den Garten.

Der Garten: Stolz zeigt Vanessa die Erdbeersträucher, die Himbeeren, den Rhabarber, den schneckenbedrohten Salat neben dem kleinen Maulwurfshügel. Und die Josta, „eine Kreuzung zwischen Stachel- und schwarzer Johannisbeere“. „Wir verbringen so viel Zeit wie möglich draußen“, sagt Vanessa.

Die Politik: Im Garten liegen feuerrote Plastiksitzkissen der Linkspartei (“Von der letzten Demo“). Die 29-Jährige versteht sich als politischer Mensch – und ganz ehrlich, auf Plastik versucht sie so weit wie möglich zu verzichten. Die Milch, die sie zum Kaffee reicht, holt sie in der wiederverwendbaren Glasflasche vom Milch-O-Maten beim Bauern. Fleisch aß sie keins, auch Anton versuchte sie vegetarisch zu ernähren. Weil er aber nicht mitmachte, gibt es jetzt doch wieder welches. „Das Fernziel ist, subsistent zu leben.“ Am liebsten auf einem Hofgut, das zur gleichen Zeit als Einrichtung für Menschen oder Kinder mit Handicap dient.

Die Kindheit: 1986 in Düren-Lendersdorf bei Köln geboren. Katholisch, Messdienerin. Liebe zu Feld und Land gelernt. „Schönes kindliches Dorfleben“. Schildkrötenbegeistert.

Die Umzüge: Zum Studium der Pädagogik ist sie nach Trier. Auch der Liebe wegen. „Wir waren gerade beim Tapezieren der Wohnung, als der Ablehnungsbescheid kam.“ Im Nachrückverfahren hat sie dann doch einen Studienplatz bekommen. Nach dem Grundstudium verlässt sie Trier für Koblenz und den Freund kurz danach auch.

Nach dem Abschluss zieht sie durch Süddeutschland, lebt und arbeitet auf Bauernhöfen. In Köln bekommt sie ihre erste Stelle im offenen Ganztagsbereich einer Förderschule, wird bald auch Leiterin. 2013 zieht sie nach Frankfurt, wegen Jürgen. Kurz vor der Geburt von Sohn Anton trennt sie sich. Im vergangenen November kehrt sie zurück nach Karben und zu ihm.

Das erste Date: Das erste richtige Date war 2012 bei der ­Blockupy-Demonstration. Auch wenn Jürgen teilweise schon etwas andere Ansichten habe als sie, im Grunde kämen sie oft auf einen Nenner: „Dass es so, wie es ist, nicht gut ist.“

Die Rollenverteilung: „Alles kann, nichts muss“ ist Jürgens Devise. Es kann vorkommen, dass sie den Rasen mäht oder das Auto repariert, während ihr Freund in der Küche steht und Schnittchen macht. Muss aber nicht so sein. „Ich finde, man sollte so viel wie möglich selbst können.“

Der Alltag: Pünktlich wie ein Wecker schreit Anton. Spätestens gegen sieben Uhr morgens ist die Familie wach. Jürgen macht Anton fertig. Von der Kita holen sie den Sohn abwechselnd ab. Der internationale Chor ist Vanessas wöchentliches Highlight. Auch wenn sie sowieso fast immer freundlich schaut, viel lacht, beim Chor strahlt sie über beide Backen. Seit ihrer Jugend singt sie. In Karben ist sie sogar Sopranistin, obwohl sie lieber den Alt gemacht hätte. „Aber der war voll“. Die Wochenenden dienen dem Zeitungslesen und der politischen Debatte. Für den Zoo hat die junge Familie eine Dauerkarte. Aber einiges muss sich noch einspielen. Sie lebt ja erst seit gut einem halben Jahr wieder bei Jürgen.

Das Leben: Jürgen bringt ihr in Malerhose den Haustürschlüssel. Den hatte Vanessa stecken lassen (“Am liebsten würde ich alles offen lassen. Auch mein Herz“).

Wie finden Sie Merkel? Das könne sie jetzt nur mit einer Gegenfrage beantworten. „Wo ist Frau Merkel bei dem Streik der Erzieherinnen und Sozialarbeiter gewesen? Und wo ist sie und ihre Politik, wo so viele Flüchtlinge in ihrem Booten Tag für Tag im Meer ertrinken?“

Wann sind Sie glücklich? „Wenn ich im Garten sitze und zusehe, wie die Erdbeeren wachsen.“

Sie wollen auch besucht werden? Schicken Sie eine Mail an hausbesuch@taz.de

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