Hausbesetzung: Linke Szene wieder auf der Straße

Hausbesetzung in Berlin-Mitte soll auch ein Zeichen gegen die Gentrifizierung sein. Nach vier Stunden räumt die Polizei. Nachts brennen 14 Autos.

Rangelei vor dem kurzzeitig besetzten Haus am Michaelkirchplatz Bild: ap

Eigentlich wollten die Hausbesetzer jetzt nicht vor dem Haus Nr. 4/5 am Michaelkirchplatz sitzen, sondern drin. Doch die Türen sind verriegelt, Ketten hängen vor dem Eingang. Die Polizei hat das Haus in der Nacht zum Mittwoch geräumt, die 19 Besetzer mussten nach nur gut vier Stunden wieder raus. Deshalb haben an diesem Mittwochmorgen fünf von ihnen eine Holzbank auf dem Bürgersteig aufgestellt und geben eine Pressekonferenz vor dem verrammelten Eingang. Sie servieren Kaffee in bunten Plastikbechern, die Laune der Besetzer schwankt zwischen Enttäuschung und Trotz. "Wir geben das Gebäude noch lange nicht auf", sagt der junge Mann, der sich Alex nennt.

Am frühen Dienstagabend gegen 17 Uhr sind die 19 Besetzer über offene Dachluken in das seit Jahren leer stehende Haus eingestiegen, berichtet Samir, der dabei war. Das Gebäude hätten sie sich schon länger als Raum für ein neues Hausprojekt auserkoren. Rasch rollten die Frauen und Männer Transparente aus, auf denen sie verkündeten, dass das Haus "besetzt" sei.

Sie blieben nicht lange allein. Gegen 18 Uhr hatte sich die Aktion auf der Eröffnungsveranstaltung der Autonomen Aktionswoche im nahen Kulturzentrum Köpi rumgesprochen, woraufhin sich rund 100 Teilnehmer in Richtung Michaelkirchplatz auf den Weg machten. Dort waren zu diesem Zeitpunkt mehrere Streifenwagen eingetroffen. Da die Beamten nichts gegen die Besetzung unternahmen, blieb die Stimmung in und vor dem Gebäude ausgelassen. Unter Beifall bemalten die Besetzer die Fassade mit roter Farbe und Spontisprüchen. Vor dem Haus wuchs die Menge auf fast 300 an.

Gegen 21 Uhr spitzte sich die Situation zu. Die Polizei, nun mit 300 Beamten vor Ort, fuhr einen Wasserwerfer und ein Räumfahrzeug auf. Kurz darauf begann sie, die seit Jahren verriegelte Tür mit einem Trennschleifer zu bearbeiten. Die Unterstützer der Hausbesetzer kommentierten dies mit Buhrufen, einige warfen Flaschen. Dann stürmte ein Polizeitrupp das Gebäude.

Im ersten Stock warteten die Besetzer auf die Polizei. "Wie saßen im Kreis, sangen Lieder und blieben ruhig. Dann hörten wir die Polizei die Treppe heraufstürmen. Die Beamten waren noch sehr durch den Einsatz vor dem Haus aufgebracht", berichtet Samir. "Dass wir uns nicht wehrten, schien sie zu überraschen und zu beruhigen." Die Polizei verrammelte das Haus, die 19 Besetzer wurden festgenommen. Nach Auskunft Samirs waren sie am Mittwochmorgen wieder auf freiem Fuß.

150 Unterstützer sammelten sich gegen 23 Uhr zu einer Spontandemo am Heinrichplatz. In der Nacht wurden laut Innensenator Ehrhart Körting (SPD) 14 Autos durch Brandanschläge beschädigt und mehrere Mülleimer in Prenzlauer Berg, Mitte, Friedrichshain und Kreuzberg angezündet. Die Polizei nahm in der Nacht zehn Personen fest.

Die Hausbesetzer zeigen am folgenden Morgen Verständnis für die Brandstiftungen: "Es ist eine durchaus legitime Reaktion auf einen so harten Polizeieinsatz", sagt David auf der Pressekonferenz. "Die Polizei hat voll auf Eskalation gesetzt", schimpft Alex und erzählt von Fausthieben. Die Verantwortung für die nächtlichen Brände weist man aber von sich: "Was in unserem Umfeld passiert ist, darauf hatten wir keinen Einfluss", sagt Martina.

Der Innensenator verurteilt die Brandstiftungen scharf. Er gehe davon aus, dass es sich "um Rache für die Räumung des Hauses" handelt, so Körting am Mittwoch. "Die Brandanschläge waren offensichtlich vorbereitet." Teile der linken Szene seien nicht nur gewaltbereit, sondern sogar gewaltsuchend, so Körting.

Die Hausbesetzer vom Michaelkirchplatz sind sich unterdessen sicher: "Dies wird nicht das letzte Gebäude sein, dass besetzt wird", sagt David. Man hoffe, eine Bewegung in Gang zu setzen. Ihre Gruppe sei lose organisiert und besteht nach eigenen Angaben aus Leuten, die sich "auch in autonomen Kontexten engagieren". Durch die Besetzung wolle sie ein Zeichen setzen gegen die ihrer Meinung nach zunehmende Gentrifizierung Berlins. "Die Stadt soll denen gehören, die hier leben, arbeiten und feiern. Und nicht Konzernen mit ihren Geschäftsinteressen", so David.

Sein Ärger gilt derzeit konkret der Gewerkschaft Ver.di. Sie hat als Eigentümerin das Haus am Michaelkirchplatz zehn Jahre leer stehen lassen. Was die Hausbesetzer vor allem zur Weißglut treibt: In der aktuellen Ausgabe ihrer Publikation Publik veröffentlicht Ver.di eine wohlwollende Reportage über Pariser Hausbesetzer und ihren Kampf gegen Immobilienspekulanten.

An Ver.di prallt die Kritik ab. "Wir haben das Haus vor kurzem verkauft", sagt Sprecher Günter Isemeyer. Den langen Leerstand begründete er mit der bewussten Auswahl eines Käufers, was eben seine Zeit brauche.

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