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Hauptursache ungeklärt

Kinder-Leukämie in Bergedorf: Neue Einzelfall-Analyse über die Ursachen unter Nichtberücksichtigung des AKW Krümmel  ■ Von Heike Haarhoff

„Einen einzelnen lokalen, krankmachenden Faktor haben wir nicht gefunden.“ Die Ursachen für die Häufung kindlicher Leukämien in Bergedorf bleiben auch nach einer jüngst abgeschlossenen Einzelfall-Analyse unklar. Jörg Michaelis, Leiter des Deutschen Kinderkrebsregisters und Medizin-Professor an der Universität Mainz, hatte im Auftrag der Hamburger Gesundheitsbehörde alle acht Erkrankungen aus Bergedorf auf bekannte Leukämie-Risikofaktoren hin untersucht. Gestern stellte er die Ergebnisse seiner Studie vor.

„Bei den Einzelfällen ließen sich jeweils Hinweise auf Risikofaktoren finden, die die Krankheit mitbewirkt haben könnten“, sagte Michaelis vorsichtig. Zwischen 1984 und 1994 waren in Bergedorf acht Kinder zwischen zwei und 15 Jahren an Leukämie erkrankt, sieben davon zwischen 1990 und 1994. Den Ursachen dieser lokalen Häufung suchte Michaelis mittels Fragebogen, Telefon-Interviews und elektromagnetischen Raummessungen auf die Spur zu kommen: Schadstoffbelastungen am Arbeitsplatz der Eltern, Auffälligkeiten während der Schwangerschaft, Exposition gegenüber Pflanzenschutzmitteln und elektromagnetischen Feldern wurden ermittelt. Das benachbarte Atomkraftwerk Krümmel als eine der Hauptverdachtsquellen jedoch wurde nicht miteinbezogen. „Die Hamburger Ergebnisse sollten mit den 200 untersuchten Erkrankungen aus unserer Niedersachsen-Studie vergleichbar sein“, hieß es zur Begründung.

Als mögliche Erkrankungsursache eines Kindes nannte Michaelis eine Röntgenuntersuchung während der Schwangerschaft der Mutter. Leukämien könnten zudem durch ein geschwächtes Immunsystem „begünstigt“ werden. Sechs der Kinder seien Erstgeborene: Es gebe die wissenschaftliche Vermutung, so Michaelis, daß das Immunsystem von Kleinkindern mit wenig Kontakt zu anderen Kindern in der ersten Lebensphase nicht ausreichend trainiert werde. Drei Kinder seien „deutlich weniger oft“ geimpft worden als empfohlen.

Vier Familien wohnten zeitweilig in der Nähe von Hochspannungsleitungen: In zwei Fällen stellte Michaelis eine höhere magnetische Flußdichte fest. Die kleine Fallzahl lasse aber auch hier keine statistische Schlußfolgerung zu. Ob niedrigfrequente elektromagnetische Felder „ursächlich zur Entstehung von Leukämien beitragen“, müsse ohnehin noch erforscht werden.

Über den Kontakt der Kinder zu giftigen Pflanzenschutzmitteln wurde in Bergedorf nichts berichtet. Und auch bei gesundheitsgefährdenden Stoffen, denen die Eltern der später Erkrankten am Arbeitsplatz ausgesetzt waren, stellte Michaelis keine engeren Gemeinsamkeiten fest. Drei Väter berichteten allerdings vom Umgang mit Farben, Lacken und Lösungsmitteln.

Trotz der relativ kleinen Untersuchungszahl, so Michaelis, spiegelten die Bergedorfer Erkrankungsfälle die bereits in Niedersachsen gefundenen Risikofaktoren wider. Die Frage aber, ob es darüber hinaus nicht doch eine einzelne lokale, dominante Ursache gibt, bleibt. Etwas befriedigendere Antworten – auch für die Betroffenen – wird es möglicherweise geben können, wenn auch der Verdacht gegen Krümmel wissenschaftlich untersucht ist. Die Gesundheitsbehörde erklärte gestern, sie werde – mit Einverständnis der Betroffenen – die Bergedorfer Daten für die Fall-Kontroll-Studie von Schleswig-Holstein und Niedersachsen (taz berichtete) in diesem Herbst zur Verfügung stellen.

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