Hauptstadtmusik: Von guten Zwecken, großen Momenten und Besserem:
■ Drei Berliner Benefiz-Konzerte und ein Julius Cäsar
Wer in einer Stadt wohnt, die mindestens drei öffentlich-rechtliche Funkhäuser nebst vier Berufsorchestern hat, der soll sich nicht wundern, wenn er feiertags das Fernsehen anstellt und in ein Sinfonie-Konzert gerät. Diesmal spielten die Philharmoniker aber nicht in der Philharmonie. Das Konzert kam direkt aus der Royal Albert Hall und im Vorspann sprach Prince Charles über den guten Zweck: Größtenteils fließt der Erlös in einen gewissen prinzbeschirmten „Youth Business Trust“, der junge Arbeitslose in erfolgreiche junge Unternehmer verwandelt; tolle Sache das. Dazu kommt, so der Pressemappe zu entnehmen, daß die Firma Mercedes Benz das Konzert gesponsert hat.
Was für ein Umstand, ausgerechnet am 1.Mai! Hätten die Daimlers der britischen Arbeiterklasse das Geld nicht direkt geben können? Wer so fragt, hat keine Ahnung von Musik und Moral. Immerhin durften dank dieser Umstände eine runde Milliarde Menschen in aller Welt die Berliner Philharmoniker Tschaikowsky spielen hören. Das ist doch ein sehr guter Zweck.
Das dritte Europakonzert der Berliner Philharmoniker wurde live ausgestrahlt bis in die VR China und nach Namibia, und zwar künstlerisch einwandfrei. Aber technisch muß dringend davor gewarnt werden, Musik live gleichzeitig stereo im Radio zu hören und mono im Fernsehen zu gucken: Letzteres ist via Satellit einige entsetzliche Zehntel-Sekunden langsamer und der Ton darum immer schon einen Wimpernschlag eher zu hören als zu sehen. Man merkt nicht sofort, was los ist. Man kriegt erst leichte Depressionen. Dann stellen sich Schwindelgefühle ein und körperliche Übelkeit. Man gelobt, am nächsten Mai doch wieder demonstrieren zu gehen, egal wogegen. Auch das ist gewiß ein sehr guter Zweck.
Noch besser der Zweck eine Woche drauf: Da gab es in der Philharmonie wieder ein klassisches Konzert „für inneren und äußeren Frieden“ (veranstaltet von der IPPNW zugunsten der Kriegsopfer in Bosnien) – und obwohl so feine Stücke wie das Bläserquintett op. 10 von Pavel Haas und so illustre Mitwirkende wie die Bläser der Philharmoniker auf dem Programmzettel standen, kamen doch nur etwa 1.500 Zuhörer zusammen. Das ist so erstaunlich wenig, daß man sich fragen muß, was da schief gelaufen ist. Waren die Eintrittskarten etwa zu billig? War der Zweck zu gut? Hören die Leute gar am liebsten gänzlich zweckfrei? Genaueres wird man erst wissen nach dem nächsten Berliner Benefiz- Konzert. Das findet übermorgen in der Gethsemane-Kirche statt, wo Counter-Tenor Jochen Kowalski zugunsten der Berliner Aidshilfe Mozartarien singen wird.
Am letzten Sonntag glänzte Kowalski in der Komischen Oper mit Koloraturarien von Händel. Seine polymorph-perverse Gestaltung der Rolle des „Julius Cäsar“, den er mit hysterischem Touch als ewig pubertierenden Jüngling zeigt, ist schon andernorts hoch gerühmt worden: Mit dieser neuen Kupfer-Inszenierung, die jetzt erst quasi heimspielmäßig Premiere hatte, wurden vor vierzehn Tagen nämlich die Schwetzinger Festspiele eröffnet. Weil es sich um eine Art überregionale Visitenkarte der Komischen Oper handelt, ist das Stück prachtvoll geraten, üppig und so überreich an Schabernack wie ein Comic-Strip. Dazu der aalglatte, rasant schnelle Nähmaschinen-Händelklang von Richard Hickox aus dem Graben.
Freilich sind Händel-Opern heutzutage Schwarzbrot für Herz und Ohr. Man muß sich schon etwas einfallen lassen, um den spezifischen Charme einer langen Dacapo-Arie herauszukitzeln. Die lyrischen Längen sind sowieso Kowalskis Stärke nicht. Und Harry Kupfer ist offenbar der Meinung, Länge in der Musik sei gleichbedeutend mit Langeweile, die bloß vertrieben werden muß. Er versucht es mittels visuellem Overkill – und hackt sich damit selbst ins Knie. Denn das Problem kennt jedes Kind: Wer zuviel Spielzeug hat, weiß nicht mehr, was spielen.
Immerhin gibt es auch große Momente: zum Beispiel das Hornsolo zu Cäsars Arie: „Die Beute zu erlegen, geht lautlos und verstohlen, der Jäger auf die Jagd“, oder, ganz gegen Ende, das Gesicht der Kleopatra (Sabine Paßow): Als ihr, die doch drei Stunden lang fleißig mitgejagt hatte, von Cäsar die Königswürde angetragen wird, da zieht Frau Paßow eine so bezaubernd überraschte Schnute, daß man sie sofort dafür küssen möchte, was Cäsar dann auch besorgt. Diese „Wär doch nicht nötig gewesen“- Miene war für mich die Krönung des Abends. Für manch anderen mag es der kurze, gemeinsame Auftritt von Julius Cäsar (Kowalski) und König Ptolemaios (Axel Köhler) gewesen sein. Zwei sich mit hoher Weiberstimme ankeifende, knackige Kerle, einer davon noch dazu in engem Catsuit: ohne Zweifel wird „Julius Cäsar“ zum neuen Kultstück werden für alle hauptstädtischen Opernschwulen. Eleonore Büning
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