Hauptstadtmusik: Groß und klein
■ Vom Gesamtkunstwerk – Beethoven komplett
Einer der schönsten Plätze Berlins ist und bleibt der Außenplatz, Block G rechts, erste Reihe in der Philharmonie. Daran hat sich nichts geändert, auch wenn das Haus jetzt nicht mehr am Stadtrand liegt. Man spielt immer noch viel Beethoven drinnen, und draußen vor den Türen halten unermüdlich nach wie vor die japanischen Musikstudenten ihre „Suche Karte“-Schildchen hoch. (Die großartige Ausstellung „Japan und Europa“ zwei Straßen weiter läuft unwiderruflich nur noch 18 Tage, das nebenbei.) Aber auch kleine Dinge können uns entzücken: die kurze, krumme Straße beispielsweise, Ludwig van BeethovenAbb.: taz-Archiv
an der die Philharmonie gelegen ist und deren Namen nie einer wüßte. Sie wurde kürzlich klammheimlich umbenannt: heißt jetzt nicht mehr Margareten-, sondern Scharounstraße, was ihr erstens gut steht und zweitens beweist, daß beim hiesigen Straßenschilderauswechslungstrubel auch mal was Gutes herauskommen kann.
In der Philharmonie kümmert man sich immer noch um die Pflege des klassischen deutschen Gesamtkunstwerks. Claudio Abbado startet, mit und ohne Margarete, seinen Faust-Zyklus. Maurizio Pollini bringt in dieser Saison sämtliche 32 Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven zu Gehör, und Murray Perahia will noch vor Weihnachten alle fünf Beethovenschen Klavierkonzerte vorlegen. Er spielt das 3. C-moll- Konzert außerordentlich flott, virtuos und so betont beiläufig herunter, als ginge ihn die Sache eigentlich nichts an. Patati, patata, alles egal, wa? Auf Kleinigkeiten wie Achtelpausen und Akzente können wir hier keine Rücksicht nehmen. War da vielleicht mal ein verkappter ironischer Tanzrhythmus mitten in der heroischen Exposition, ja? Nö, ach was, schon weggeklimpert. Könnte es sein, daß hier hinten in der Durchführung Klavier und Flöte (ja, genau: dieser wunderbar weiche Philharmoniker-Solo-Flötist) sich mal ernsthaft was zu sagen hatten? Iwo. Lieber dreimal prima gedoppeltrillert und in die Pausen reingefranst als einmal aufs Orchester gehört.
Plumps! Pünktlich, wenn die Kadenz zu Ende ist, fällt die Musik in ein tiefes Loch. Die Philharmoniker krabbeln natürlich immer wieder raus und spielen weiter. Abbado kann freilich diesmal auch nur ein bißchen kitten. Dabei dirigiert er augenblicklich zweifellos das klügste und klangschönste Orchester der Welt. Eine Holzbläser- Crew: so mild und scharf, wie man sich's immer schon gewünscht hat, auch die Celli singen köstlich und die hohen Geigen und überhaupt, das ganze Orchester zeigt später noch einmal genau in Dvoraks wilder Achter: Es ist ein Traum. Beethoven aber spielen die Philharmoniker lieber kühl und trocken, doch spielen sie, wie es scheint, ein völlig anderes Stück als der Pianist, den sie begleiten. Denn der, jede Wette, der weiß nicht, was er spielt. Außer natürlich: gewaltig viele Noten.
Wie lustig es zugeht, wenn ein aufgeknöpfter deutscher Komponist gleich im ersten Anlauf die „nicht enden wollende Form in allen Parametern“ schaffen will — daran erinnerte letzte Woche unter anderen Alt-Revoluzzer Konrad Boehmer (der mit der Faust-Oper) anläßlich eines Palavers zur Ur- und Frühgeschichte der elektronischen Musik im Institut für Neue Musik. Das Thema der Tagung: „Apparate, die die Musik veränderten. Komponieren im analogen Studio“. Zu besichtigen war, nebst einer Reihe namhafter Komponisten und Techniker aus In- und Ausland, die noch die legendäre erste Musikstunde nach der „Stunde Null“ live miterlebt hatten (Hans Peter Haller, Johannes Fritsch, Heinz Schütz und andere), vor allem das liebevoll und bastelintensiv rekonstruierte Original-WDR-Studio, in dem Karlheinz Stockhausen Anfang der fünfziger Jahre „StudieI“ und „StudieII“ erschaffen hatte. Oberpriester Karlheinz war natürlich nicht anwesend. Dafür warnte Fritsch vor den Folgen musikalischer Großmannssucht. Kleine Frage zum Schluß: Warum fehlte Josef Tal? Tal, der 1957 das Jersualemer Studio für elektronische Musik gegründet hat, war doch zufällig gerade in Berlin, aus Anlaß der 7. Jüdischen Kulturtage. Eleonore Büning
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen