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Hass gegen Geflüchtete auf Social MediaErst ist es nur ein Sound, dann ein Trend

Der Diskurs über Flucht und Zugehörigkeit änderte sich zuerst in den sozialen Medien. Doch was im Internet passiert, macht sich in der Realität breit.

In den Kommentarspalten sammelt sich offener Hass Foto: taz

Als ich 2015 aus Syrien nach Deutschland kam, habe ich versucht, die deutschen Medien zu verstehen. Mit Google Übersetzer las ich Artikel – und vor allem die Kommentare darunter. Damals war Facebook das große Tor zu den Debatten. Unter jedem Artikel über Geflüchtete sammelten sich Hunderte Kommentare, viele kritisch gegenüber Angela Merkel und der „Willkommenskultur“. Viele offen voller Hass.

Wenn wir uns in der Nachbarschaft, in der Schule, am Arbeitsplatz von Angesicht zu Angesicht begegnen, verhalten wir uns meist respektvoll, halten uns an Gesetze, an die Erwartungen der Gesellschaft. Aber im Internet, in der Anonymität verschwinden diese Grenzen. Dort zählt oft nur die Wut, das Ego. So entsteht ein Klima, in dem der Hass gedeiht, bis er in der politischen Realität ankommt.

Die Befürworter des Asylrechts waren 2015 noch stark: Medien, Politiker und Wirtschaftsvertreter sprachen über die Vorteile von Migration für Deutschland, besonders für die Wirtschaft. Aber gleichzeitig formierten sich die Kritiker. Und ich sah, wie Sprache gefährlich wurde: Witze, Beschimpfungen oder abwertende Begriffe für Geflüchtete zirkulierten im Netz.

Sie wurden von rechten Parteien aufgegriffen, um Stimmen zu gewinnen. Was erst „nur“ im Internet stand, fand sich plötzlich in Wahlprogrammen, Talkshows und Zeitungsüberschriften. Inzwischen weiß ich: Auch wenn Social Media nicht die „echte“ Realität ist, erschafft sie eine neue. Menschen hören auf Partys „L’amour toujours“ und grölen dazu „Ausländer raus“. Erst ist es nur ein Sound, dann ein Trend. Viele Dinge sehen wir zuerst auf Tiktok, dann auf Instagram, später bei Facebook, Wochen oder Monate danach begegnen sie uns im Parlament, beim Familiengespräch und auf der Straße.

Wenn Angst das Leben bestimmt

Social Media formt nicht nur unsere Wahrnehmung, sondern auch unser Leben. Für uns Mi­gran­t*in­nen ist das besonders spürbar. Der Diskurs über Asyl, Flucht und Zugehörigkeit hat sich nicht im Stillen verändert, sondern sichtbar in den Timelines, durch die wir täglich scrollen. Und ich sehe, wie sehr Angst das Leben bestimmt. Wenn ich meine Schwester, die ein Kopftuch trägt, frage, ob sie abends in die Stadt gehen kann, spüre ich ihre Unsicherheit – selbst in einer Großstadt.

Rassistische Straftaten nehmen zu: 2024 waren es laut Statista rund 37.800 Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund, rund 1.280 davon Gewalttaten mit einem rassistischen Hintergrund, der höchste Wert seit 2016. Die Zahl der Angriffe auf Geflüchtete außerhalb von Unterkünften ist laut Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg von 1.775 im Jahr 2018 auf 2.450 im Jahr 2023 gestiegen.

Doch über das redet kaum eine Politikerin. Stattdessen raunt der Kanzler von „Problemen im Stadtbild“. Die „Probleme“ würden im Zusammenhang mit Migration stehen und könnten durch mehr Abschiebungen gelöst werden, meint er. Vielleicht will er so die Stimmen der rechten Wähler abgreifen, aber das Einzige, was er bewirkt, ist eine Normalisierung des rassistischen Diskurses. Und es geht ihm um ein Gefühl, nicht um Fakten. Denn keine marode Kleinstadt bekommt durch mehr Abschiebungen neue Kitas, keine Region eine bessere Infrastruktur, keine Wirtschaft frische Ideen.

Vor zwei Jahren saß ich an einem Winterabend mit einem Bekannten zusammen. Wir sprachen über die AfD, über die Angst, dass sie die Wahl gewinnen könnte. Er meinte: „Kaum eine Frau kann abends allein durch die Sonnenallee gehen.“ Ich fragte ihn, woher seine Annahme kam. Er habe keine Fakten, antwortete er, es sei ein Gefühl. Was er nicht weiß, ist, wie viele junge Leute, Frauen und Männer, nachts in Berlin in die Sonnenallee gehen, um Schawarma oder Falafel zu essen.

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