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Archiv-Artikel

Hartz und Haus

Machen die Hartz-Gesetze den Hauskauf zum Albtraum? Zwei Geschichten von arbeitslosen Eigenheimbesitzern

Sie ziehen in das Haus mit dem herrlichen Garten: „Es ist ein Traum“

AUS QUEDLINBURG UND KÖLNJOHANNES GERNERT

Manche Leute in Quedlinburg in Sachsen-Anhalt sagen: Ihr habt doch einen Audi. Und ein Haus habt ihr auch. „Ein Haus mit einem Haufen Schulden dran“, antwortet Karina Enke dann. Und ihr Mann, er kann doch mit seinen 1,90 Meter nicht Trabi fahren. Der Audi ist alt, sagt Klaus Enke. „Es ist mein vierter Audi 100 in Reihenfolge“, sagt er. „Der letzte.“

Klaus Enke hatte einmal Geld. Über Jahre hinweg 250.000 Mark auf dem Konto. Er ist Ingenieur. Er hat Computerszenarien für den Bau atomarer Endlager entworfen. Als 2002 wieder Rot-Grün dran kam, sagt der 43-Jährige, war es endgültig vorbei. Vor ihrem Haus steckt noch ein Schild im Boden: Ingenieurbüro. Die Firma hat er abgemeldet. Klaus Enke heißt nicht Klaus Enke. Wenn Rot-Grün 2006 abgewählt werden sollte, will er wieder den Bau von Atomendlagern planen. Ohne dass jemand weiß, dass er arbeitslos war.

Der weiße Lack des Audis glänzt in der Sonne. Hinterm Haus biegt der Wind die Pappeln auf den Feldern. Vor ein paar Tagen noch sah es so aus, als ob sie hier vielleicht ausziehen müssten. Klaus Enke hat überlegt, das Haus zu verkaufen. Dann haben sie einen neuen Bescheid von der Arbeitsagentur bekommen. Sie kriegen jetzt wieder 735 Euro jeden Monat. 735 Euro für zwei. Das ist mehr als nichts. Zwischenzeitlich dachten sie, ein paar Monate lang werde es gar nichts geben.

Die Decke auf dem blauen Plastiktisch flattert leise. Klaus Enke hat seine Unterlagen ausgebreitet und schaut auf die eingezäunten Schrebergärten. Er geht jetzt doch lieber rein. Die Sonne blendet.

Vor drei Jahren haben sie gebaut. Als er Ende der Neunziger seine Frau kennen lernte, hatte sie schon einen Sohn, den erzog sie allein. Eigentlich konnten sie zusammen keine Kinder kriegen. Sie wollten unbedingt eins haben. Jeder Versuch, medizinisch nachzuhelfen, hat 50.000 Mark gekostet. Sie wussten ja nicht, dass es am Ende doch nicht klappt. Er hatte für den Hausbau noch 100.000 Euro übrig. Zusätzlich musste er einen Kredit aufnehmen. Als der allein nicht reichte, lieh er sich 25.000 Euro von seinen Eltern. Dafür hat er seinem Vater die Eigenheimzulage überschrieben.

Auf dem neuen Bescheid der Arbeitsagentur stand im Januar deshalb etwas vom „Wegfall der Hilfsbedürftigkeit“. Gemäß § 7 Abs. 1, § 8 und § 9 Abs. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und § 48 Abs. 1 Satz 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch in Verbindung mit § 330 Abs. 3 des Dritten Sozialgesetzbuches. Ein vorläufiger Bescheid.

Es bedeutete: Für fünf Monate gibt es kein Geld, weil die Eigenheimzulage aufs Einkommen angerechnet wird. Arbeitslosen zahlt der Staat nur die Zinsen, nicht die Tilgung eines Darlehens. Sie haben sofort Widerspruch eingelegt. Denn die Zulage ging direkt an den Kreditgeber, an seinen Vater. Auch wenn damit das Darlehen getilgt wurde: Sie kamen da nicht ran.

Klaus Enke hatte noch ein Konto mit Dispokredit. Davon haben sie zunächst gelebt. Das Konto seiner Frau war bald bis zum Anschlag überzogen. Sie haben sich Geld zusammengeliehen. „Man kommt sich vor wie ein Bettler“, sagt Karina Enke.

Für das Haus hatte sich Klaus Enke zwei Möglichkeiten überlegt: Entweder der Finanzier, also sein Vater, übernimmt es komplett. Oder sie gehen zum Makler und bieten es zum Verkauf an. Sie haben erst mal auf Antwort von der Arbeitsagentur gewartet.

„Der Mensch ist ein erfindungsreiches Tier“, sagt Klaus Enke. Und meint: Man kommt auch mit wenig Geld aus. Sie kaufen schon länger Sonderangebote, fast Abgelaufenes. Seine braunen Lederschuhe sind abgescheuert. Von ihren weiß-roten Sneakers bröckelt das Kunstleder. Sie beschäftigen sich. Im Garten. Am Computer. Im Bündnis für soziale Gerechtigkeit. „Wir haben Ideen“, sagt Klaus Enke. „Wir als kleine Scheißer hier.“ Und dann erzählt er, wie man die Eigenheimzulage so regeln kann, dass durchs Neubauen „ein Wirtschaftsschub kommt“. Die Idioten von der Regierung würden nicht begreifen, was man mit der Bauförderung bewirken kann. „Viele Leute hätten ohne die nie gebaut.“ Neulich war er bei einer Diskussion mit einem SPD-Bundestagsabgeordneten. Irgendwann hat er den nur noch angeschrieen. Während er sich erinnert, sticht sein Finger immer wieder in die Couchgarnitur. Er habe dem Mann erst einmal bewiesen, wieso die Regierung unfähig ist. Am Beispiel der Hundeverordnung. Er steht auf und schaut aus dem Fenster. Das hellblaue Hemd hängt jetzt über der grauen Hose.

Manchmal weint Karina Enke plötzlich. Es ist alles ein bisschen viel. So lange schon. „Es macht einen kaputt, von innen.“ Auf dem Wohnzimmertisch liegt die vorerst letzte Ablehnung, sie kam von einem Altersheim. Karina Enkes ist jetzt 51 Jahre alt. In ihrem Lebenslauf steht, wie oft sie umgelernt hat. „Das ganze Elend der Wiedervereinigung“, sagt ihr Mann. Für sieben Berufe ist sie mittlerweile ausgebildet, Krankenpflegehelferin ist einer davon, Industriekauffrau ein anderer. Hinter den Jobs, die sie gemacht hat, steht oft: Insolvenz. Dann immer wieder: arbeitssuchend. Sie war auch schon im Westen, in Bayern, vor ein paar Jahren. Da hat der Chef einfach nicht gezahlt. „So’n richtig schöner Wessi“, sagt Karina Enke.

Sie schläft ein bisschen besser, seit sie wissen, dass es wieder Geld gibt. Der Bescheid kam vor ein paar Tagen. Auf einmal wurde der Widerspruch anerkannt. Als würde man im Lotto gewinnen, ist das, sagt Klaus Enke. Ohne, dass sich dadurch etwas ändert. Das Geld ist genauso knapp wie vorher. „Jobs“, da ist er sicher, „gibt es im Osten keine.“ Wenn einer im Westen etwas findet, wird der andere hinterherziehen. Das Haus würden sie verkaufen.

***

Dieter Forster war neulich auf einem Treffen im Kölner Arbeitslosenzentrum, da sollten sich alle vorstellen. Er hat sich dafür ein persönliches Motto überlegt: „Mut zur Muße.“ Wenn er ehrlich ist, und das ist er nur unter falsche Namen, dann denkt er übers Arbeitslosendasein eigentlich dies: „Es ist ein Traum.“

Der 55 Jahre alte Grafikdesigner ist arbeitslos. Vielleicht ist er in ein paar Monaten wieder Mitarbeiter einer PR-Agentur, wenn er auch diesen Prozess gewinnt. Aber im Augenblick bekommt er Arbeitslosengeld I, es sind gut 2.000 Euro. Nach dem Gerichtsurteil könnte er wieder Gehalt kriegen. Dieter Forster klagt seit einigen Jahren.

Sie kriegen 735 Euro zu zweit: „Wir kleinen Scheißer hier“

Dass der kleine Mann mit dem gezwirbelten Jean-Pütz-Bart zurzeit so oft „traumhaft“ sagt, hat auch damit zu tun, dass die Forsters sich gerade ein halbes Haus gekauft haben – zwei Stockwerke, für gut 200.000 Euro. Sie wohnen noch zu viert in einer Drei-Zimmer-Wohnung in einem Dorf vor Köln. Vater, Mutter, Tochter, Sohn. Aber im Sommer ziehen sie um. 120 Quadratmeter haben sie dann, in einem grünen Vorort. „Hartz IV-sicher“, sagt er. Er hat lange gerechnet. Zehn Jahre zahlen sie vor allem Zinsen ab. 170 Euro im Monat, das würde die Arbeitsagentur übernehmen. Danach erst ist der Kredit dran. Im Gegensatz zu den Zinsen kommt die Agentur dafür nicht auf. Aber vielleicht haben sie bis dahin geerbt. Er ist dann auch in Rente. Sollte er, falls er den Prozess verliert, ins Arbeitslosengeld II „gerutscht“ sein, sagt er, geht es damit also aufwärts.

Zum ersten Mal haben sie Dieter Forster 1995 rausgeschmissen. Er habe sich für die Kollegen eingesetzt wie ein inoffizieller Betriebsrat, erzählt er, und sei „im Grunde mit den Chefs auf Augenhöhe“ gewesen. Das habe denen nicht gepasst. Der Kündigungsgrund hieß: Parken auf dem Firmenparkplatz. Er sah nicht ein, warum er sein Auto da nicht abstellen soll – wie die Chefs auch. Das Arbeitsgericht machte die Kündigung ziemlich schnell rückgängig. Der Prozess nach dem zweiten Rausschmiss, gut fünf Jahre später, hat länger gedauert. Am Ende wurden ihm 36 Monatsgehälter zugesprochen. Zur selben Zeit liefen zwei Bausparverträge aus: „Das Geld musste verbraten werden.“

Da hörte seine Frau von einer Bekannten, die ihr Haus verkaufen wollte. Sie sind zur LBS gegangen und haben das mit einer Beraterin besprochen. Als die Sache schon geritzt schien, wurde die Frau plötzlich seltsam zurückhaltend. „Offensichtlich hatten die Weisung, Arbeitslosen keine Kredite mehr zu gewähren“, vermutet Dieter Forster. Er hat sich an den Vertrauensmann der LBS gewandt, den SPD-Bundestagsabgeordneten Reinhard Schultz. Man werde sich kümmern, hieß es in dessen Büro. „Nach einer Woche stand uns plötzlich wieder alles zu“, erinnert er sich. Im Februar haben sie den Vertrag unterschrieben. Wegen der Eigenheimzulage. Er hatte sich gesorgt, dass die abgeschafft werden könnte.

Wenn man Dieter Forster eine gewisse Mitnahmementalität unterstellt, weiten sich die Augen hinter der Nickelbrille. Er ist überrascht. Er schüttelt den Kopf. „Wir sind eigentlich nicht besonders unternehmungslustig, wir gleiten sozusagen, aber wenn sich links und rechts was ergibt, nehmen wir es mit.“ Das halbe Haus hat sich so ergeben. Im Übrigen hat er ausgerechnet, dass den Staat die neu erworbenen 120 Quadratmeter im Grünen weniger kosten werden als ihre derzeitige Mietwohnung.

Mit seiner laufenden, dritten Klage, fühlt er sich im Recht. Sie haben ihm wieder gekündigt, diesmal betriebsbedingt. Auch viele seiner ehemaligen Kollegen sind jetzt arbeitslos. Manche reden nicht mehr mit ihm, weil sie ihn für einen Querulanten halten, der der Firma geschadet hat. „Nach meiner Meinung könnten 90 Prozent der Angestellten ihren Job behalten, wenn sie kämpfen würden“, sagt er. Er arbeitet jetzt immer nachts. Arbeiten heißt: Prozessstrategien entwerfen und Familienfinanzen planen.

Die Bekannten denken, wenn sie vom Umzug hören, dass sie eine neue Mietwohnung gefunden haben. Eine billigere. „So etwas vielleicht“, sagt Dieter Forster und zeigt auf ein mintgrünes Mehrfamilienhaus. „Im Zweifelsfall wird einem nur ein Abstieg zugestanden.“ Tatsächlich ziehen sie gegenüber ein. In das Haus mit dem „herrlichen Garten.“ Er lächelt: „Traumhaft.“