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Aus taz FUTURZWEI

Harald Welzer über Möglichkeitsräume Landlust!

Kann das Land postcoronal die Zone der gesellschaftlichen Transformation werden?

»Das Land ist im Moment interessanter als die Stadt«: behörntes Tier vom Hof »Stolze Kuh« in der Uckermark Foto: Anja Weber

Von HARALD WELZER

Das Land ist im Moment interessanter als die Stadt. Da tut sich nämlich mehr. Die Städte sind die Kampfzonen des Immobilienmarktes, der illegalen Autorennen und des Ladensterbens, durch die Amplituden der Coronawellen kulturell bulimisch oder ganz verödet, und Window-Shopping geht auch online. Menschen will man eh nicht mehr um sich.

»Dass das Land postcoronal vielleicht die Zone der gesellschaftlichen Transformation wird, hätte doch vor zwei, drei Jahren noch niemand gedacht. Ich schon gar nicht, ich komme ja vom Land und wollte da noch nie wieder hin.«

Harald Welzer

Das Land dagegen: nicht gleich Lust, aber doch durch Homeoffice aufgewertet, durch Corona tauglicher gerade für jene Aktivitäten, für die man keine Massen und kein Tempelhofer Feld braucht. Gegend ist sowieso da. Und der Garten. Und die Eiche. Und die gute Luft. Und keine Leute da, die einen anstecken könnten. Im Moment sieht es nach Stadtflucht aus, vor allem derjenigen, die das Privileg des Homeoffice nutzen können und sich ohne tägliche Pendelei eines Hauses erfreuen, dass bezahlbar ist, oder die als Vielbesserverdiener sich eben noch zusätzlich zur Stadtwohnung das Haus in der Uckermark oder im Schwarzwald leisten. Neuerdings blind gekauft, ohne einmal da gewesen zu sein. Da geht die Post ab.

Was wiederum die Preise für die Einheimischen brutal hochtreibt und den saturierten Frieden derjenigen stört, die früher schon schlauer waren und sich eingekauft haben, als es noch nicht so fancy war. Und jetzt kommen die mit der Kohle, nebst Gefolge. Man kann das Strukturwandel nennen, aber außer, dass Strukturwandel immer Stress für die bedeutet, die den Wandel nicht bestellt haben, spricht ja nichts dagegen, dass die Verödung ein Ende hat und auch die schon von Marx befundene Idiotie des Landlebens sich abschwächt, und sei es nur durch Cafés und Kulturscheunen, die übrigens auch nicht schlimmer sind als all die superoriginellen Nachnutzungen leer stehender Läden und Werkhallen in der Stadt durch Kunstprojekte und Produzentengalerien. Da interessiert sich ja außer den Beteiligten auch niemand dafür.

Aufwertung des Landlebens durch digitale Transformation

Wenn denn die durch Corona beschleunigte digitale Transformation der Arbeit zu einer Aufwertung des Landlebens führt, kommt dort schnell mehr Dynamik in die Sache als in der Stadt: Denn wo wären Co-Working-Spaces sinnvoller als im Dorf, weil doch nur die Wenigsten Lust haben, Tag für Tag allein vor dem Screen zu sitzen. Und wenn es den erstmal gibt, den Co-Working-Space im einst verödeten Ortskern, dann folgt das Café mit Mittagstisch in Echtzeit, und daneben macht die Dorfwirtschaft wieder auf, im Sommer mit Garten, und schon wächst die Aussicht, dass die Bauern vor Ort ihre Erzeugnisse auch lokal vermarkten können und nicht mehr nur auf die verordneten Ramschpreise für Schweinefleisch und Milch angewiesen sind.

Womit wir bei den Problemen des Landes wären: Obwohl es für Deutschland (wie üblich) keine Zahlen gibt, berichten Organe wie agrarheute, dass die Selbstmorde unter Landwirten weit über dem Durchschnitt liegen. Für die Schweiz und für Frankreich gibt es Zahlen – dort bringen sich 37 beziehungsweise 30 Prozent mehr Menschen um, die mit ihren bäuerlichen Betrieben zwischen wirtschaftlicher Not, extremer Verregelung, Überarbeitung, Perspektivlosigkeit und Mobbing kaum Sonne sehen. Das kann so nicht weitergehen mit der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, ökologisch nicht und politisch schon gar nicht. Die Klugscheißerei Außenstehender, die die Bäuerin beschimpfen, wenn sie Gülle aufs Feld ausbringt oder den Waldbesitzer, wenn er Bäume fällt, macht die Stimmung nicht besser, und erwartbar wird der Druck noch steigen, wenn die Stadtflüchtlinge zahlreicher werden – die Zahl der Durchblicker wächst dann proportional. Und die der Nimbys auch, denn schließlich hat man ja nicht grün gewählt und ist auf dem Land mit dem hübschen Resthof investiert, damit der Habeck einem dann einen Windpark an den Ortsrand stellt. Es ist kompliziert.

Und wird nicht einfacher in den Regionen, in denen so lange repressive Toleranz gepflegt und Neonazis als gute Jungs bezeichnet wurden, bis man stabile Flächencluster von Demokratie- und Menschenfeinden hatte, von denen man heute nicht mehr weiß, wie man sie je auflösen soll. Von all den Rätseln, wieso Landleben und Widerstand gegen Wissenschaft und Aufklärung noch immer zusammenzuhängen scheinen, noch ganz abgesehen. Aber gut: Dresden und Stuttgart, Hometowns der Gegenaufklärung, sind Städte, vielleicht ist das Land auch in dieser Hinsicht gar nicht so schlimm.

Das Land bietet gute Chancen für Wandel

In Summe: Es tut sich was, und dort, wo ein urban geprägter Außenpolitiker mit Migrationshintergrund wegen Proporz aus Versehen Landwirtschaftsminister wird, stehen die Chancen nicht schlecht, dass sich Neues und somit Gutes tut, auf dem und mit dem Land. Die Annalena aus dem Brandenburgischen verhandelt Weltpolitik, der Cem mit den Bauern, das hat doch was. Und dass mit diesem Neuen und Guten auch die politische Borniertheit schwindet, mit der aus urbaner Perspektive auf das Land geschaut wird. Und kulturell endlich dieser Landärztinkitsch vom Reiterhof gejagt wird, zusammen mit dem Range Rover und der Barbour-Wachsjacke. Landräte haben andere Probleme als Stadträte, und das mit dem Gendern rockt auch nicht richtig, wenn man eine Energiegenossenschaft gründen will.

Aber dass das Land postcoronal vielleicht die Zone der gesellschaftlichen Transformation wird, hätte doch vor zwei, drei Jahren noch niemand gedacht. Ich schon gar nicht, ich komme ja vom Land und wollte da noch nie wieder hin. Könnte aber anders werden, mit dem Land, auch wenn es schwierig wird. Davon handelt »Landlust«.

Harald Welzer ist Herausgeber von taz FUTURZWEI.

Dieser Beitrag ist im März 2022 in taz FUTURZWEI N°20 erschienen.