Hansapark mit noch mehr Hanse: In der Fassadenwelt
Zwischen Achterbahnen und Fressbuden hat der Hansapark begonnen, die Hanse wieder aufzubauen - als nicht ganz lebensgroße Themenwelt. Das Projekt an Holsteins Ostseeküste atmet den Geist der Hanse, indem es ihre Kernkompetenz verinnerlicht hat: den Geschäftssinn.
Bei der Anfahrt geht es durch gelbe Rapsfelder, direkt auf das Holstentor zu, das Lübecker Wahrzeichen, das in diesem Fall allerdings 30 Kilometer hinter Lübeck liegt. Auf der Vorderseite des Holstentors leuchtet unübersehbar eine Plastikschleife, als sei das Tor ein überdimensionales Geschenk. Wer hindurchgeht, trifft auf ein Beet mit gelben und violetten Stiefmütterchen, die eine Schrift bilden. Sie klärt darüber auf, wo wir uns befinden: Im Hansapark, dem Spaßreich an Holsteins Ostseeküste.
Irgendwo ertönen Schreie: 100 Meter voraus ragt ein grün-weißes Stahlgewächs dreißig Meter hoch aus der Landschaft. Gondeln voller kleiner und großer Menschen rasen an den Ranken entlang, ihr entrücktes Kreischen ist bis zu den künstlichen Hausfassaden im Eingangsbereich zu hören. In der Menge, die sich dort versammelt hat, drehen sich immer wieder Köpfe zu den Achterbahnmenschen um, doch Christoph Andreas Leicht lässt sich davon nicht beirren. Der Inhaber des Parks trägt eine blaue Kapitänsjacke mit goldenen Knöpfen und steht auf einem kniehohen roten Podest, das direkt vor dem Holstentor aufgebaut ist. Vor ihm hat sich, von den Parkbesuchern durch Absperrseile und Sicherheitspersonal getrennt, eine distinguierte Gesellschaft versammelt. Die Herren tragen rustikale Freizeitjacketts zu grau-silbernem Kurzhaarschnitt, die Damen haben sich in Pastelltöne gekleidet, an mancher Hand blitzt dezenter Goldschmuck auf.
Es handelt sich, das ist den Gesprächen zu entnehmen, um Hoteliers, Bauunternehmer, Ärzte und Anwälte aus den umliegenden Orten. Sie sind gekommen, um der Eröffnung der Themenwelt Europäische Hanse beizuwohnen, deren erste beide Bauabschnitt nach vierjähriger Bauzeit fertig geworden sind.
Hansapark-Chef Leicht hat die Klinkerfassaden mit wehenden, weißen Stoffbahnen verhängen lassen. Neben ihm steht eine schwarze Kanonenattrappe. Davor hat jemand sechs Feuerschalen entzündet. Leicht ist ganz offenbar von seinem eigenen Projekt begeistert, er spricht schnell und lebhaft. Die Hanse, sagt er, verbinde Aufbruch und Tradition, Freiheit und Abenteuer, Anstand und Augenmaß. Eine Rückbesinnung auf "die hanseatischen Werte" sei der Ausweg aus der Wirtschaftskrise, ruft Leicht entzückt, während im Hintergrund die Parkbesucher den Kabinen der Achterbahn zustreben, um die Wirtschaftskrise zu vergessen.
"Drei - zwei- eins!", die Menge zählt. Es kracht. Die Kanone gibt einen Schlag von sich und zu Schlachtenmusik, die aus großen Lautsprechern scheppert und endlich auch das wilde Kreischen der Parkbesucher übertönt, fallen die weißen Segel zu Boden und geben den Blick frei auf vierzehn prachtvolle Fassaden.
Die sind real existierenden Hansebauten im Baltikum nachempfunden, in Visby, Rostock, Lübeck, Brügge und Hamburg. Die Hamburger Krameramtsstuben sind darunter, oder das Rostocker Hausbaumhaus. Es seien echte Materialien verwendet worden, sagt Leicht, Eichenholz und Stein, nicht billiges Pappmaché wie im Disneyland. Mit den verkleinerten Nachbauten will er den Spaßtouristen ein wenig Geschichte mitgeben - Edutainment nennt man das wohl.
Die Eröffnung des zwanzig Meter langen Historienparks ist an diesem Freitagnachmittag ein kulturelles Großereignis in Sierksdorf. Doch wer in den Häusern Ausstellungen vermutet, liegt falsch. Die hanseatischen Fassaden stehen vor jenen flachen weißen Gebäuden, in denen die Parkverwaltung, der Souvenirshop, das Selbstbedienungsrestaurant und die Toiletten des Vergnügungsparks seit über dreißig Jahren untergebracht sind.
Die Hanse-Illusion verblasst beim Näherkommen, aber das soll noch werden, verspricht der Parkchef. Er möchte weiterbauen und in fünf Jahren die ganze europäische Hanse abbilden. Dann kann er hier neben belgischen Pralinen, auch französische Weine, norwegischen Lachs und Kölsch verkaufen.
Und so wird schließlich die Begeisterung doch noch glaubwürdig. Denn der Hauptzweck der Kaufmannshanse, ihre Kernkompetenz, war die Wahrung des wirtschaftlichen Erfolgs. Der Hansapark ist eben kein Freilichtmuseum, sondern ein durch und durch hanseatischer Vergnügungspark.
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