Hans-Bernd Zöllner: "Die Demokratie ist nur eine Fantasie"
Die Junta in Birma sitzt fest im Sattel. Zudem hat der Aufstand keine politische Perspektive. Glückt er doch, könnte danach sogar noch mehr Gewalt folgen, fürchtet Hans-Bernd Zöllner.
HANS-BERND ZÖLLNER (65) unterrichtet Sprachen und Kulturen des südostasiatischen Festlands am Asien-Afrika-Institut der Universität Hamburg. 2000 erschien von ihm "Birma zwischen Unabhängigkeit zuerst, Unabhängigkeit zuletzt" im Lit Verlag Münster. Bis 2002 hat er als Pastor in Hamburg gearbeitet. 1987 bekam er das Bundesverdienstkreuz für die Betreuung deutschsprachiger Gefangener in Thailand.
taz: Herr Zöllner, in Birma sind die Militärs brutal gegen demonstrierenden Mönche vorgegangen. Eskaliert der Konflikt?
Hans-Bernd Zöllner: Ich glaube nicht, dass die Junta Interesse daran hat, mehr Gewalt einzusetzen als unbedingt nötig. Sie würde sich damit ihrer Legitimität berauben. Es kann aber natürlich sein, dass es unter den Militärs oder den Mönchen Heißsporne gibt, die sich nicht an Abmachungen halten. Dann könnte die Lage eskalieren.
Warum würden sich die Militärs durch mehr Gewalt ihrer Legitimität berauben?
Mönche und Machthaber bilden eine symbiotische Gemeinschaft. Ich nenne das eine Art "birmanischen Knoten" aus Mönchen, Volk und Regierung. Er wird zusammengehalten durch geistliche Leitung und staatliche Gewalt und konkretisiert sich in der Bettelschale: Die Mönche bekommen Essen von den Laien, auch von den Militärs. Dafür geben sie ihren Segen. Nur wer die Mönche unterstützt, kann es nach den Lehren des Buddhismus zu Wohlstand und Ansehen bringen. Dieser Knoten hält die Gesellschaft zusammen. Er wird nun von den Mönchen in Frage gestellt.
Wie lösen die Mönche diesen Knoten auf?
Wenn die Mönche keine Spenden mehr annehmen, exkommunizieren sie den Spender gewissermaßen. Auch jetzt ist von dieser Form des spirituellen Boykotts die Rede, auch wenn er bisher nur in Ansätzen angewandt wird. In Birma sind politischer und religiöser Streik untrennbar miteinander verbunden. Die Militärs brauchen die scheinbar ohnmächtigen Mönche. Die spirituelle Opposition verweigert den Machthabern die spirituelle Unterstützung und damit die Basis ihrer Existenz. Das ist eine Bedrohung, die viel größer ist als ein Volksaufstand. Sollten Soldaten oder Mönche den "birmanischen Knoten" gewaltsam zerschlagen, wird es ziemlich schlimm werden, fürchte ich.
Wie wahrscheinlich ist das?
Das kann man nicht sagen. Das einzige Berechenbare in Birma ist die Unberechenbarkeit. Alle Umstürze kamen unerwartet: Der Putsch von 1962 kam aus heiterem Himmel, keiner ahnte 1988, dass die Menschen unter der Führung der Studenten auf die Straße gehen würden. Zwei Jahre später waren alle überrascht, dass die Wahl nicht anerkannt wurde. Das macht Prognosen schwierig. Nach meiner Einschätzung ist der Glaube an Wunder ein Grund für diese Unberechenbarkeit. Nicht nur die Herrscher glauben an die Sterne. Das ganze Volk vertraut der Astrologie.
Könnte sich das Massaker von 1988 wiederholen?
Das glaube ich nicht, weil die Zivilbevölkerung sich kaum am Protest beteiligt. 1988 wurden die Demonstranten von Studenten, also von Zivilisten, angeführt. Die Mönche machten nur mit. Heute geht der Protest von den Mönchen aus. Zudem gab es damals ein Machtvakuum, nachdem General Ne Win zurückgetreten war. Er ist übrigens der einzige birmanische Herrscher in 2.000 Jahren, der freiwillig seine Macht abgab. Diesen Hohlraum versuchten Politiker, Generäle und Studentenführer zu füllen. Das Militär feuerte aus Verzweiflung auf die Demonstranten, die Soldaten wussten sich nicht anders zu helfen.
Und heute wissen die Soldaten, wie sie reagieren sollen?
Heute gibt es eine Militärjunta, die seit 20 Jahren erfolglos, aber mit starker Hand regiert. Die Generäle haben ihre Truppen, vernünftige Kommandostrukturen, eine Regierung. Sie haben sogar eine Verfassung verabschiedet. Und die Militärs haben politische Strukturen und die Massenorganisation USDA aufgebaut. Das ist eine ganz andere Situation.
Was würde passieren, wenn die Mönche erfolgreich wären und die Junta entmachteten?
Wie sollte das denn passieren? Die Leute haben keine Gewehre. Nun, einige Exilbirmanen hoffen, dass sich Militärs, die zufällig ein "Demokratie-Serum" getrunken haben, von der Armee abspalten und Birma auf militärischem Weg in die Demokratie führen. Das ist eine hübsche Fantasie.
Die Vorstellung Oppositioneller soll eine Fantasie sein?
Eine demokratische Regierung könnte sich nur etablieren, wenn alle Militärs freiwillig zurücktreten. Aber warum sollten sie? Das Militär hat ein völlig überzogenes Selbstbewusstsein. Das ist übrigens auch ein Ergebnis der Boykottpolitik gegen das Land.
Gibt es denn demokratische Politiker, die die Macht übernehmen könnten?
Aung San Suu Kyi würde sich als Staatspräsidentin eignen, weil sie als Heldin des birmanischen Widerstands eine Integrationsfigur ist. Aber neben ihr gibt es kein politisches Personal, auch nicht im Ausland. Und die Studentenbewegung ist längst zerschlagen. Die Mönche selbst haben kein politisches Programm. Sollte die Junta tatsächlich gestürzt werden, könnte ein brutaler Machtkampf beginnen.
INTERVIEW: PETRA KILIAN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken