Hannover gegen Leverkusen: Keine drei Punkte verdient
Nur Unentschieden trennen sich Hannover und Leverkusen, weil Helmes 60 Sekunden vor Schluss der Ausgleich gelingt. Dennoch gewinnt Hannover an Selbstbewusstsein.
Karim Haggui war schon auf dem Weg in die Kabine, als er sich noch einmal umdrehte und versuchte, den Augenblick des späten Gegentores in Worte zu fassen. "Die Enttäuschung ist sehr groß", sagte der tunesische Abwehrspieler von Hannover 96. Aus dem Bemühen, sich den Frust von der Seele zu reden, wurde aber nichts.
Es wollte ihm einfach nicht gelingen, den leeren Blick und den traurigen Gesichtsausdruck loszuwerden, nachdem 60 Sekunden vor dem Ende der äußerst unglückliche Ausgleich beim 2:2 gegen Bayer Leverkusen gefallen war. "Wenn man kurz vor Schluss den Sieg aus der Hand gibt", sagte Haggui und schaute ungläubig auf den Boden, "dann tut das sehr weh".
Aussagen wie diese klingen fußballhistorisch im ersten Moment ein wenig überraschend. Denn es ist lange her, dass man im unscheinbaren Hannover, wo sportliche Schwindelanfälle in der Vergangenheit deutlich häufiger waren als spielerischer Glanz, einem Unentschieden gegen die ansonsten aufregende Mannschaft von Bayer Leverkusen nicht mit der klassischen Demut begegnete. "Die drei Punkte wären mehr als verdient gewesen", versuchte sich Sergio Pinto, Hannovers defensiver Mittelfeldspieler, erst gar nicht in Zurückhaltung.
Das ist alles andere als selbstverständlich - und nicht allein durch die wunderbar vielversprechende Darbietung vor 40.852 Zuschauern im alten Niedersachsenstadion zu erklären. Es ist vielmehr das ganz neue Selbstbewusstsein einer Mannschaft, die nach einer miserablen Vorbereitung und der absurden Pokalniederlage in Elversberg für viele bereits als sicherer Absteiger festgestanden hatte - und nun nach drei Spielen nicht vorhersehbare sieben Punkte auf dem Konto hat.
Die unfassbare Frage, dank des guten Auftakts sei in dieser Spielzeit doch sicherlich mehr möglich als nur der Versuch, Platz 15 zu erreichen, war nach nur drei Spieltagen dagegen genauso erschreckend wie vorhersehbar. In Hannover verlaufen die Grenzen zwischen Euphorie und Enttäuschung fließend, eine ausgesprochene Grundnervosität gehört zu den ganz normalen Begleiterscheinungen einer Saison.
"Nichts ist möglich", ließ sich Sergio Pinto aber nicht darauf ein. Den Hoffnungen und Wünschen begegnen sie dieser Tage erstaunlich besonnen und bodenständig. Es sieht beinahe so aus, als hätten sie aus den abwechslungsreichen vergangenen Wochen gelernt und sich nach außen, gewissermaßen als Selbstschutz, eine sympathische Bescheidenheit verschrieben. "Für uns geht es nach wie vor ganz allein um den Klassenerhalt."
Dabei waren sie an diesem sonnigen Samstagnachmittag durchaus verdächtig, in dieser Saison damit wohl nichts zu tun zu haben. Hannover spielte frech nach vorne und ließ sich auch von der einen oder anderen fußballerischen Unvollkommenheit nicht von ihrem Spiel abbringen. Es war bezeichnend für die überraschend harmlosen Gäste, dass Michael Ballack nach einer Fraktur des Schienbeinköpfchens bei seiner Auswechslung die auffälligste Szene hatte.
Didier Ya Konan brachte die Gastgeber, nach einem aberwitzigen Aussetzer von Sami Hyypiä, traumwandlerisch sicher in Führung (20.). Nach dem überflüssigen Platzverweis des österreichischen Innenverteidigers Emanuel Pogatetz erhöhte Mohammed Abdellaoue kurz nach der Pause nicht unverdient (49.), ehe Leverkusen durch Eren Derdyok (62.) und Patrick Helmes (89.) aus zwei Möglichkeiten noch der glückliche Ausgleich gelang.
Mirko Slomka, der Trainer von Hannover 96, erlebte die spannende Schlussphase nach einem theatralischen Kniefall von der Tribüne aus. Das wohlwollende Lob der Gäste konnte ihn über den schmerzlichen Gegentreffer kurz vor Schluss aber nicht hinwegtrösten, ebenso wenig wie der eine Zähler gegen die großen Leverkusener. "Drei Punkte wären wunderbar gewesen", sagte Slomka. Und alles andere als unverdient.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links