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Archiv-Artikel

Hannover & Hanover

Das Adelsgeschlecht der Welfen wird erstmals im neunten Jahrhundert urkundlich erwähnt. Zu dieser Zeit, unter Karl dem Großen, lebt ein Graf Warin von Altdorf, dessen Sohn Isenbrand seinen Nachfahren den Namen „Welfen“ gibt. Etymologisch stammt das Wort von „Wolf“ und „Welpe“ ab. Durch geschickte Heirat gelingt es der Familie, zu einem der einflussreichsten Adelsgeschlechter des Römischen Reiches aufzusteigen. Sie sind Herrscher in Oberburgund und haben Besitztümer in Oberitalien. Zwistigkeiten tragen die Welfen lange Jahre mit den Staufern aus; beide Adelshäuser ringen miteinander um den Kaisertitel. 1138 setzt sich der Staufer Konrad III. gegen den Welfen Heinrich den Stolzen durch und besteigt den Thron des Reiches.

Einer der berühmtesten Welfen ist Heinrich der Löwe, Sohn Heinrich des Stolzen. Dem neuen staufischen Kaiser Friedrich Barbarossa I. gelingt es 1156, ihn als Verbündeten zu gewinnen. Heinrich unterstützt Barbarossa mit seiner sächsischen Armee bei dessen Feldzügen gegen das Papsttum in Rom. Der Kaiser belehnt ihn dafür mit dem Herzogtum Bayern, und Heinrich wird mächtigster Territorialfürst des Reiches. Unter Heinrich dem Löwen erlebt die Welfenfamilie ihre glorreichste Zeit. In Ungnade fällt der als eroberungssüchtig geltende Welfe, als er Barbarossa die Unterstützung verweigert. Der Kaiser verbannt ihn, und der streitbare Herzog verliert alle seine Gebiete.

Heinrich ist auch der erste Welfe, der dynastische Fäden zum englischen Königshaus spinnt. Dies geschieht durch seine Ehe mit Mathilde, Tochter des englischen Königs Heinrich II. Mit dem neuen deutschen Kaiser Heinrich VI. söhnt er sich 1194 aus und darf aus England auf seine Güter in Braunschweig zurückkehren. Mit Mathilde zeugt er Otto I. von Braunschweig, der 1209 als Kaiser Otto IV. und erster Welfe den Kaiserthron besteigt.

Der erste Ernst August an der Spitze des Hauses Hannover (englisch: Hanover) wird 1692 zum Kurfürsten von Braunschweig und Lüneburg gewählt. Dass sein Sohn Georg Ludwig 1714 als Georg I. den britischen Thron besteigt, verdankt er allerdings nicht dem Vater, sondern seiner Mutter Sophie, einer Prinzessin von Böhmen und Urenkelin von Maria Stuart. Im Hause Stuart nämlich sind auch Frauen thronberechtigt. Zwar gibt es vor Sophie noch 57 weitere Anwärter und Anwärterinnen, doch sie ist die einzige protestantischen Glaubens – nach dem „Bill of Rights“ die Voraussetzung für die Thronfolge. Sie stirbt jedoch, wenige Monate bevor sie Königin von England werden kann, mit 83 Jahren; statt ihrer besteigt nach dem Tod der kinderlos gebliebenen Queen Anne ihr ältester Sohn 1714 als Georg I. den britischen Thron. Er regiert bis zu seinem Tod 1727 in Personalunion als König von Großbritannien und Irland sowie als Kurfürst von Hannover.

Immerhin 123 Jahre regieren die Welfen gleichzeitig in England und in Hannover. Der letzte Welfe auf dem britischen Thron ist bis 1837 William IV., der keine Nachkommen hat. Sein nächstjüngerer Bruder Eduard, Herzog von Kent, dem nach Williams Tod der Thron zugestanden hätte, stirbt früh, hinterlässt aber eine Tochter. Weiterer Thronanwärter ist Williams zweitjüngerer Bruder Ernst August, Herzog von Cumberland. Da in England die weibliche Erbfolge gilt, wird Viktoria 1837 zur Königin von England gekrönt.

In Hannover aber kann sie nicht regieren: Hier darf eine Frau nur dann den Thron besteigen, wenn es keine männlichen Nachfolger gibt. So wird im selben Jahr ihr Onkel Ernst August König von Hannover. Sein Sohn, Georg V., wird der letzte König von Hannover; 1866 flüchtet er vor den preußischen Truppen ins österreichische Exil. In den letzten zehn Jahren seiner Amtszeit lässt der blinde König für seine Frau Marie die Marienburg bauen. Die neugotische Sommerresidenz wird von der Familie fast nie bewohnt. Vom nächsten Frühjahr an soll sie mit neuem Museumskonzept und Cafébetrieb dem Publikum offen stehen. CHRISTINA DEICKE