Hannover 96: Tapfer, aber verunsichert
Seit dem Suizid von Robert Enke konnte die Mannschaft von Trainer Andreas Bergmann kein Spiel mehr gewinnen. Angesichts des 13. Platzes in der Tabelle besteht nach der Winterpause Handlungsbedarf.
Jörg Schmadtke, der eigentlich ein sehr lebenslustiger Mensch ist, war erneut nicht zu Späßen aufgelegt. "So wie heute geht das nicht in dieser Liga", sagte der Sportdirektor von Hannover 96 mit ernstem Blick. Mit 2 : 0 hatten sie durch Tore des starken Jan Schlaudraff eben noch geführt, um dann ihr Heimspiel gegen den biederen VfL Bochum mit 2 : 3 zu verlieren. Es war eine Heimpleite, die den Zustand einer verunsicherten Mannschaft in der Fußball-Bundesliga recht treffend dokumentierte. "Es ist wichtig, dass meine Spieler jetzt zur Ruhe kommen und sich sammeln", sagte 96-Trainer Andreas Bergmann und machte ein trauriges Gesicht, als er sich und seine Profis in den Weihnachtsurlaub verabschiedete.
Es gehört zur mannschaftsinternen Verarbeitung der Trauer um Robert Enke, dass über dessen Suizid vor etwas mehr als fünf Wochen kaum noch freiwillig gesprochen wird. Aber es bleibt auch festzuhalten, dass 96 seit dem Suizid des von Depressionen geplagten Nationalspielers keine Begegnung mehr gewinnen konnte. "Natürlich ist das alles noch nicht verarbeitet", sagt 96-Coach Bergmann, von dem aber trotzdem erwartet wird, dass er seinen Spielern Beine macht.
Der vom Amateurcoach der "Roten" zum Cheftrainer beförderte Nachfolger von Dieter Hecking hält immer noch große Stücke auf seine Mannschaft. Aber angesichts von nur einem Zähler aus den vergangenen fünf Spielen fehlen Ergebnisse, aus denen neben dringend benötigten Erfolgserlebnissen auch gute Argumente für eine Verlängerung des bis zum Saisonende befristeten Arbeitsvertrages von Bergmann werden könnten.
Der Blick auf die Tabelle, in der Hannover 96 auf dem 13. Platz überwintert, lässt erahnen, dass Handlungsbedarf besteht. Als Bergmann nach der Heimpleite gegen Bochum gefragt wurde, ob seine Mannschaft den Ernst der Lage erkannt habe, wich er ein wenig aus. Dem so herrlich authentisch agierenden Trainer ist richtig gute Arbeit und ein Händchen für nicht immer ganz pflegeleichte Spieler zu bescheinigen. Deshalb kann sich Bergmann trotz einer ernüchternden Hinrunde wohl auf die Rückendeckung seiner Vorgesetzten weiter verlassen. "Andreas Bergmann und Jörg Schmadtke müssen die Mannschaft wieder einfangen", findet der allmächtige 96-Präsident Martin Kind. Bisher hat sich der Chef eines weltweit tätigen Hörgeräte-Imperiums für seine Verhältnisse ungewöhnlich geduldig gezeigt. Auch nach dem Ausrutscher gegen Bochum hielt sich Kind mit Drohgebärden zurück. "Und bei mir gibt es keine Trainer-Diskussion", versicherte Sportdirektor Schmadtke.
Es wird einer Mannschaft, die der Niederländer Arnold Bruggink als Kapitän und Spielmacher anführt, nichts anderes übrig bleiben, als sich in 2010 Stück für Stück wieder aufzurappeln. So wie es der angesichts seiner langen Verletzungspause in Vergessenheit geratene Jan Schlaudraff am Samstag getan hat. Der 26-Jährige hatte sich nach zwei Leisten-Operationen gedanklich schon mit seinem Karriereende beschäftigt, meldete sich jetzt aber mit zwei schönen Treffern zurück. Es sind Momente wie diese, die daran erinnern, dass eine Mannschaft wie 96 bei weniger Verletzungspech als zuletzt nichts mit dem Abstiegskampf zu tun haben dürfte.
Aber was ist schon normal in einer Saison, die nach dem schmerzhaften Abschied von Enke keine gewöhnliche Spielzeit mehr werden kann. Die drei Eigentore, mit denen Hannover zuletzt im Auswärtsspiel bei Borussia Mönchengladbach zum Gespött der Liga geworden war, hatten viele 96-Spieler zu einem gequälten und ungläubigen Lächeln verleitet. Genau das gab Einblick in die Psyche einer Mannschaft, die für ihre tapfere Rolle viel Applaus verdient, um die man sich aber auf dem Weg zum erhofften Klassenerhalt auch große Sorgen machen muss.
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