Hannes KochWir retten die Welt: Jamaika: Es bleibt in der Familie
Mein 17-jähriger Sohn ist ein ausgeglichener Typ. Letztens aber schrieb er auf WhatsApp: „Ich dreh durch!“ Er schickte eine Börsengrafik, auf der der Aktienkurs von AirBerlin um 109 Prozent gestiegen war – am Tag, als Lufthansa den Pleitevogel aufkaufte. Mein Sohn hatte es geahnt. Und versucht, 50 Euro seines ersten Minijob-Gehalts beim Online-Banking der Sparkasse zu investieren. Das funktionierte nicht: Aktienkauf erst ab 18 Jahre, sagte der Berater. Außerdem hatte mein Sohn kein Aktiendepot eingerichtet. So zog sein erster Aktiendeal an ihm vorbei. Vielleicht gut so. Jetzt steht die AirBerlin-Aktie bei rund fünf Cent.
Ist das jetzt FDP? Investieren, egal was, Hauptsache Gewinn? Vielleicht aber sind auf dem Weg von meiner Generation zu seiner neue Haltungskombinationen entstanden. Christian Lindner, sagt er, habe vor der Bundestagswahl als Einziger so gesprochen, dass man ihn verstehe. Andererseits: Hätte er wählen können, wären seine Stimmen bei den Grünen gelandet.
So herrschen in unserer Familie schon mal gute Voraussetzungen für die Jamaika-Koalition. Meine 20-jährige Tochter allerdings sträubt sich noch. Sie durfte das erste Mal wählen, zog es aber vor, das nicht zu tun. Immerhin ging sie hin. In der Wahlkabine klebte sie sich jedoch ein goldenes Tape über den Mund, auf den Stimmzettel schrieb sie „Volksabstimmung“. Als sie ihn in die Urne warf, schauten die Wahlhelfer streng, ließen das Polittheater aber durchgehen. Eine Stimme für die etablierten Parteien? Da würde meine Tochter eher ein Flugzeug besteigen.
Sie agitiert mit dem „Omnibus für Direkte Demokratie in Deutschland“ in den Fußgängerzonen für bundesweite Volksabstimmungen und das bedingungslose Grundeinkommen: 800 Euro für alle, egal ob sie arbeiten oder nicht – eine Idee als Joint Venture aus katholischer Soziallehre, Liberalismus und Absage an den Wachstumszwang. Gerne ärgere ich sie damit, dass ausgerechnet die Koalition aus Union, FDP und Grünen in Schleswig-Holstein darüber wenigstens mal nachdenkt. „Deine Stimme für Jamaika!“, rufe ich. Sie droht, den Kontakt zu mir abzubrechen, mindestens bis zur nächsten Abendesseneinladung.
Und doch passt alles. Wenn mein Sohn ordentlich mit Aktien verdient, kann man ihn hoch besteuern. Davon kann der Staat Grundeinkommen zahlen. Auch Leuten, die ungültig wählen.
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