: Hanna Krabbe kommt noch nicht frei
■ Entlassungsverfahren für RAF-Gefangene hakt an psychiatrischem Gutachten. Haft seit über zwanzig Jahren
Berlin (taz) – Das Verfahren zur „vorzeitigen Entlassung“ der in Lübeck inhaftierten früheren RAF-Aktivistin Hanna Krabbe tritt in die entscheidende Phase. Nach einer langen Anhörung der Gefangenen vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf am Donnerstag steht nur noch ein Gutachten des Münchner Psychiaters Henning Saß und eine Stellungnahme der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe aus, bevor das Gericht, das Hanna Krabbe 1977 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt hatte, entscheiden kann.
Saß ließ nach der Anhörung erkennen, daß eine „ausreichende Basis“ für ein Gutachten noch nicht vorhanden sei. Wie andere RAF-Gefangene weigert sich Krabbe, mit dem Psychiater zu sprechen. Nach einem Beschluß des Bundesgerichtshofs kann das in der Strafprozeßordnung vorgeschriebene Gutachten, das eine „Gefährlichkeitsprognose“ enthalten muß, jedoch auch „nach Aktenlage“ erstellt werden.
Saß will nun zur Erweiterung der Basis für sein Gutachten das Gefängnispersonal in Lübeck befragen, allerdings nur mit Zustimmung der Gefangenen. Die liegt bisher nicht vor. Sowohl der Gerichtsvorsitzende Wolfgang Steffen als auch ein in Bonn mit der Materie befaßter Beamter äußern sich vorsichtig über den weiteren Verlauf des Verfahrens. Es sei „nicht ganz problemfrei“.
Hanna Krabbe ist als letztes Mitglied des RAF-Kommandos „Holger Meins“ noch in Haft, das im April 1975 die deutsche Botschaft in Stockholm überfiel, um 26 Gefangene aus den Gefängnissen in der Bundesrepublik freizupressen. Im Verlauf des Anschlags erschossen die Besetzer zwei ihrer Geiseln. Auch zwei Mitglieder des sechsköpfigen Kommandos starben. Nach dem in der Haft schwer erkrankten Bernd Rössner kamen in diesem Jahr auch die anderen überlebenden Besetzer Lutz Taufer und Karl-Heinz Dellwo frei.
Schon im April 1992 hatte Krabbe die Entscheidung der Untergrundgruppe begrüßt, auf Attentate gegen „führende Repräsentanten aus Wirtschaft und Politik“ zu verzichten. Und im November 1992 erklärte Dellwo ausdrücklich auch in ihrem Namen: „Keiner von uns wird nach seiner Freilassung zum bewaffneten Kampf zurückkehren.“ Allerdings warf Krabbe Taufer und Dellwo vor, durch öffentliche Kritik an der Geschichte der RAF und an dem Stockholm-Überfall zur „Delegitimierung revolutionärer Politik“ beizutragen. Beide bezeichneten Geiselerschießungen als nicht legitime Mittel revolutionärer Politik. „Wenn das eine politische Kritik sein soll, dann gehört sie nicht vor den Staatsschutzrichter“, schrieb Krabbe. Mit einer Entscheidung über die Entlassung von Krabbe, die seit über 20 Jahren in Haft ist, wird nicht vor Februar 1996 gerechnet. Gerd Rosenkranz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen