: Handyverbot für den Kumpel
In Nordrhein-Westfalen sollen Jugendliche künftig über gleichaltrige Straftäter zu Gericht sitzen. Morgen startet das Modellprojekt in Siegen. „Teen-Courts“ in den USA zeigen: Rückfallquote ist zehn Prozent geringer
von MIRIAM BUNJES
Sie beraten und bestrafen in Vierergruppen. Vor ihnen sitzen Teenager, die zum ersten Mal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind. Die RichterInnen des „Kriminalpädagogischen Schülerprojekts“, das morgen in Siegen startet, gehen vormittags selber noch in die Schule. Und genau das qualifiziert sie für ihren neuen Job: Sie verhandeln auf Augenhöhe mit den Täter.
„Jugendliche Richter habe auf eine ganz andere Art und Weise Einfluss auf ihre straffälligen Altersgenossen, weil sie ihre Lebenswelt genauer kennen“, sagt Susanne Kutschmann vom Siegener Landgericht. „Sie finden passendere Strafen und können nachhaltiger verhindern, dass aus Ersttätern Zweit- oder Mehrfachtäter werden.“
Rund 100 Fälle aus dem Stadtgebiet Siegen werden die Jugendlichen in drei Gruppen jährlich bearbeiten. Bei den Gesprächen mit den Straftätern sitzt ein Mitarbeiter der Opfer-Organisation „Brücke“ im Hintergrund. Haben die Täter die von den Gleichaltrigen verhängten Auflagen erfüllt, wird bei der Staatsanwaltschaft die Akte geschlossen. Die Jugendlichen sind offiziell dann noch nicht einmal vorbestraft.
In der Wahl der Strafen sind die Jugendlichen tatsächlich relativ frei: Sie können kleinere Geldbußen verhängen, Sozialstunden oder Verkehrserziehungsmaßnahmen verordnen. Sie können sich aber auch eigenständig Strafen ausdenken: Entschuldigungsbesuche beim Opfer oder wochenlange Handy- oder Fernsehverbote. Nur Haftstrafen dürfen sie nicht verhängen. Schließlich verhandeln sie keine schweren Straftaten, sondern harmlosere Delikte wie Graffiti-Sprühen, Mofa-Frisieren, Fahren ohne Führerschein und leichtere Gewaltdelikte. Die TäterInnen und ihre Erziehungsberechtigten entscheiden sich außerdem freiwillig für ein Verfahren vor dem Teenie-Gericht.
Die Verfahrensidee stammt aus den Vereinigten Staaten: Teen Courts gibt es dort schon seit mehr als 20 Jahren – über deren Erfolg sind sich Kriminalwissenschaftler Übersee einig. Auch im Bundesland Bayern gibt es seit dem Jahr 2000 in mehreren Städten Jugendlichen-Gerichte. Laut einer aktuellen Begleitstudie liegt die Rückfallquote der jugendlichen Straftäter, über die im Teen Court verhandelt wurde, zehn Prozent niedriger als in der Vergleichsgruppe. Und auch die Kosten des Verfahrens beschreibt das bayrische Justizministerium als „vergleichsweise niedrig.“
„Wir sind auch deshalb sehr gespannt“, sagt Ulrich Hermanski, Sprecher im nordrhein-westfälischen Justizministerium. „Wahrscheinlich wird es in den nächsten Jahren überall in Nordrhein-Westfalen solche Gerichte geben.“
Alternativen zu Gerichtsverhandlungen und paragraphengenauen Urteilen für Jugendlichen werden an nordrhein-westfälischen Gerichten zur Zeit verstärkt gesucht. Auch die neuen Jugendlichen-Gerichte finden im Rahmen der so genannten Diversion statt. Jugendlichen TäterInnen wird dabei erst kein Prozess gemacht, sie bekommen alternativ erzieherische Auflagen.
Die werden auf unterschiedliche Weise ausgewählt – und sind entsprechend vielseitig. Auch beim Verhandeln auf Augenhöhe gibt es Erfahrungen in NRW. Das Dortmunder „Büro für Täter-Opfer-Ausgleich“ bringt seit 1987 Täter mit ihren Opfern an einen Tisch. In 161 Fällen waren das im vergangenen Jahr Jugendliche. „Jugendliche denken sich oft härtere Strafen aus als Erwachsene“, sagt Franz Bergschneider, Leiter des Dortmunder Büros. Dass ein Schüler ein Jahr lang die Treppe fegen soll, damit die ganze Schule sieht, dass er Mist gebaut hat, zum Beispiel.
Dass Jugendlichen-Gerichte funktionieren, kann sich der Sozialpädagoge deshalb gut vorstellen. „Gutachten und Ermittlungsakten haben dort aber nichts verloren. Mit so einem Wissen übereinander können Jugendliche, die an einem Ort leben, nicht umgehen.“