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Handgepäck fürs nächste JahrtausendNach dem Gong II

■ Besser als Champagner und Kaviar: Muhammad Ali muss mit, weil der Boxer das Denken gefördert und die Liebe beflügelt hat

Ich kann mich erinnern, dass ich mir als Kind überlegte, wie alt ich im Jahr 2000 sein würde. Und wie überwältigt ich war, als mir aufging, dass ich nicht nur den Beginn des zweiten Jahrtausends nach Christi Geburt erleben, sondern dass ich sogar noch eine ganze Weile in ihm leben würde. Meiner Meinung nach gehörte ich damit zu jenen vom Schicksal Begünstigten, die die Zukunft erlebten. Denn nur 2000 war die Zukunft, das war für mich, wie ich es damals ausdrückte, „so klar wie klare Kloßbrühe“. 2000 würde die Welt wunderwie aussehen, sensationell. Es schien mir, ich würde dann ganz persönlich ein komplettes Jahrtausend hinter mich gebracht haben. 2000 war ein Schwergewicht.

Was für ein Schwergewicht 2000 tatsächlich ist, wird mir freilich in dem Moment deutlich, in dem ich mein Handgepäck fürs nächste Jahrtausend schnüren soll. Paradoxerweise erscheint der Termin deshalb so monströs, weil 2000 nicht die Zukunft ist; jedenfalls nicht in diesem großartigen Sinn, in dem ich mir das als Kind vorgestellt habe. Ich bin mir im Gegenteil sicher, dass 2000 ein Silvester sein wird, wie all die vorangegangenen – nur dass es dazu nach allgemeiner Meinung nicht kommen darf. Silvester 2000 muss absolut grandios werden, schließlich wiederholt sich so ein Jahrtausendwechsel nicht so schnell. Dieser Jahrtausendwechsel, weiß die Kollegin Barbara Häusler von der Wahrheit, „ist ein Skandal“. Womit sie wohl recht hat. Wer sich also nicht skandalisieren lässt und den Kaviar nicht schon im Mai geordert hat, weil er im Dezember längst ausverkauft sein wird, wie ich es während der Filmfestspiele in Cannes an jeder Ecke las, in all den überreichlich vorhandenen Lädchen mit Champagner & anderem Gaumenluxus, der ist der Sache offensichtlich nicht gewachsen.

Zugegeben, das mit dem Kaviar hab' ich schon mal versäumt. Der kommt also nicht ins Handgepäck. Und das Y2K-Problem packe ich ebenso wenig ein. Ich rechne es ehrlich gesagt zu den vielen Skandalisierungsversuchen, jenen hilflosen Unterfangen, dieses verflixte Jahr 2000 auf die Größe aufzublasen, die ihm unser aller Meinung nach gebührt. Gibt man nämlich zu, dass man Silvester 2000 genauso indifferent entgegenschaut wie dem 1999, fühlt man sich auch schon blamiert. Es muss was Großes, Gigantisches her. Plus ultra, um es habsburgerisch zu sagen.

Gut, dass ich mich rückerinnere, an das Kind, dem 2000 noch als große Verheißung erschien. Da weiß ich sofort, was ich in mein Handgepäck packe. Ein echtes Heavy Weight. Denn 1966, und das dürfte die Zeit gewesen sein, in der ich erstmals über das Jahr 2000 rätselte, durfte ich auch zum ersten Mal in meinen Leben abends fernsehen. Weil wir, meine Familie – die (wegen der Kinder) keinen Fernsehapparat besaß –, bei meinem Onkel Hau in Ulm zu Besuch waren und an diesem Abend ein Boxkampf gezeigt wurde. Den wollte mein Vater sehen, und deshalb sah ich zum ersten Mal bis in die Nacht fern, zum ersten Mal einen Boxkampf und zum ersten Mal Muhammad Ali. Ich war hin und weg.

Es muss der Kampf gegen Karl Mildenberger gewesen sein, denn anders kann ich mir meine Erinnerung an Ali nicht erklären. Wann hätte das öffentlich-rechtliche Fernsehen damals sonst einen Kampf mit Ali gesendet? Nun ist ja Boxen kein Ding, das so ohne weiteres in das Leben eines kleinen Mädchens einzuordnen ist, vor allem für das kleine Mädchen selbst. Aber ich weiß, ich war vollkommen fasziniert von den grissligen Schwarzweißbildern. Boxen sah bedrohlich aus. Und anmutig, wie Muhammad Ali, der mir zudem einfach wunderschön erschien. Ich glaube, ich habe mich sofort in ihn verknallt. Meine Eltern, die es merkten, zogen mich damit auf. Aber sie erzählten mir deshalb auch nicht allzu lange später, dass er den Kriegsdienst verweigert habe und ins Gefängnis gehe. Das verstand ich nicht so recht, ich war ja gerade mal zehn Jahre alt. Ich löcherte meine Mutter, aber wie sie früher immer gesagt hatte, schau ins Lexikon, wenn ich was wissen wollte, sagte sie nun, lies Zeitung. Uff. Aber ich habe es getan. Wegen Muhammad Ali. Und so fing für mich 1967 der Vietnamkrieg an, vor den Studenten und dem Mai 1968.

Und weil für mich das Zeitunglesen und das Nachdenken über die Welt mit Ali und seinem coolen „Ich hab' keinen Streit mit dem Vietcong“ begann, bin ich eigentlich noch immer in ihn verliebt. Er muss also mit ins neue Jahrtausend. Zumal mir auch im 21. Jahrhundert das Nachdenken über die Welt nicht erspart bleiben wird. Wo ich es jetzt in der Zeitung tue. Brigitte Werneburg

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