piwik no script img

Handballer Lars Christiansen"Ein bisschen schief drauf gucken"

Nach 14 Jahren geht mit Lars Christiansen die Identifikationsfigur des Flensburger Handballs zurück nach Dänemark. Als Kapitän mit skandinavischer Mentalität hat er einen großen Anteil am Überleben der SG Flensburg-Handewitt. Das Rezept: sozial durch die Krise.

Lars Christiansen, wie ihn die Torhüter dieser Welt nicht gerne sehen. Bild: dpa
Interview von Ralf Lorenzen

taz: Herr Christiansen, Ihre vor kurzem erschienene Autobiografie …

Lars Christiansen: Sag ruhig "Du", ich bin Däne.

… heißt "Aus spitzem Winkel". Von dort erzielen die Außen im Handball ihre Tore. Hast du diese Position freiwillig übernommen?

Lars Christiansen, 38

stammt aus Sonderburg und spielt seit 1996 bei der SG Flensburg-Handewitt, mit der er 2004 deutscher Meister wurde, dreimal den DHB-Pokal gewann und zweimal im Champions League-Finale stand.

Mit der dänischen Nationalmannschaft, deren Rekordtorschütze er ist, gewann Christiansen 2008 die Europameisterschaft.

Seinen Abschied feiert Christiansen am 15. August mit zahlreichen Weltklassehandballern in der Campushalle in Flensburg, um anschließend noch drei Jahre in Dänemark in der ersten Liga zu spielen.

Parallel baut er eine Firma für Sportmanagement auf. Im Hamburger Schanzenviertel hat Christiansen vor drei Jahren einen Hummel-Store eröffnet.

Ich habe mit vier Jahren als Kreisläufer angefangen, dafür hatte ich die richtige Größe. Mit zehn wurde unser Linksaußen krank und ich bin eingesprungen. Seitdem ist das für mich mein kleines Spezialgebiet, auf dem ich mich ständig verbessern konnte. Ich wollte da nie weg.

Müssen Linksaußen einen Spleen haben?

Das glaube ich nicht, aber auf der Position wirft man die besonders trickreichen Tore, weil du nie das ganze Tor vor dir siehst. Das passt zu meinem Typ. Wenn mich etwas beschäftigt, wie der Krieg oder andere wichtige Themen, dann möchte ich auch ein bisschen schief darauf gucken und mir meine eigene Meinung bilden.

Du kommst ja von der anderen Seite der Grenze aus Sonderburg. Ist da diese Einstellung weiter verbreitet als hier?

Ja, ein bisschen, wir sind ein sehr offenes Volk. Ich habe keine Vorurteile, so bin ich aufgewachsen. Ich begegne allen Menschen offen, ob Spielern oder Fans. Das ist ein Teil von meiner Arbeit. Obwohl Handball für mich immer noch keine Arbeit ist, das ist immer noch wie ein Hobby.

War die SG Flensburg-Handewitt schon in deiner Jugend dein Wunschverein?

Ja. Wir sind ja von Sonderburg schon früher oft über die Grenze gefahren. Ich weiß noch, wie ich mir da am Tag meiner Konfirmation in Flensburg billige Handballschuhe gekauft habe. Mit meinen Eltern war ich zum Handball gucken hier und habe schon damals gesagt: diese Atmosphäre ist das Größte, was man als Handballer erleben kann.

Wie wurde der Traum dann wahr?

Ich habe 1995 mit Kolding gegen Flensburg zwei gute Spiele im Europa-Pokal gespielt, da entstand das Interesse. Dieser Verein hat alles, was ich suche, Visionen, große Ziele und immer Spieler, die zueinander passen. Die lockere Mentalität der Skandinavier, gemischt mit den deutschen Qualitäten, wo man ein bisschen härter ist und mehr Struktur hat. Ich finde es wichtig, voneinander zu lernen, nur so wird man ein kompletter Spieler und Mensch.

Teilweise wurde das Flensburger Team ja als dänische Nationalmannschaft bezeichnet.

Ja, aber die Dänen oder Schweden bestimmen nicht, was läuft. Bei uns haben alle, egal ob Isländer oder Serben, gleich viel zu sagen. Es darf natürlich kein Kindergarten werden, aber alle werden gefragt und haben Einfluss. In Flensburg hat keiner Angst, etwas zu sagen. Das ist ein Geheimnis des Erfolgs.

Die meisten Weltklasse-Spieler gehen früher oder später zu größeren Vereinen. Du bist immer noch da.

Ja, viele fragen mich immer, ob das daran liegt, dass es hier so ruhig ist und ich in der Nähe meiner Familie bin. So sehe ich das nicht, für mich war immer wichtig, dass Träume in Erfüllung gehen konnten. Wir haben die großen Ziele nicht immer erreicht, aber wir gehörten immer zu den fünf besten Mannschaften der Welt. Ich habe viele Angebote gekriegt, von Top-Vereinen in Spanien, Frankreich und Deutschland, wo es finanziell besser war. Aber für mich sollten auch immer alle anderen Sachen passen.

Was hat sich in den letzten 14 Jahren besonders verändert?

Ganz am Anfang spielten wir sehr physisch, sehr hart. Das war im Handball allgemein so, da gingen die Spiele immer 20:18 aus. Jetzt fallen mehr Tore, weil das Spiel schneller geworden ist. Und das Training intensiver. Das passt mir gut, weil ich es immer genossen habe, zu trainieren. An dem Tag, wenn ich keine Lust mehr habe, mich weiterzuentwickeln, höre ich sofort auf. In den 14 Jahren gab es vielleicht fünf Tage, an denen ich keine Lust hatte zu trainieren.

Welche Rolle hat dein ehemaliger Trainer Kent-Harry Andersson gespielt, der in der letzten Saison entlassen wurde?

Er war genau zum richtigen Zeitpunkt unser Trainer. Er hat diese Gewinnermentalität gehabt und dafür gesorgt, dass wir stark waren. Und er war sehr sozial. Er war unser Trainer in den besten sechs Jahren, die wir als Mannschaft und auch ich persönlich hatten. Skandinavische Trainer passten immer zu meinem Charakter, sie machen zwar Druck, aber nicht so viel, dass du nicht damit leben kannst. Man hört ja von anderen Vereinen, dass da die Spieler gar nicht mit dem Trainer reden können.

Wie war die Trennung von ihm für die Spieler?

Natürlich waren alle traurig, auch darüber, wie das abgelaufen ist. Er hat nicht den Abschied gehabt, der er verdient gehabt hätte. Aber daraus hat der Verein auch gelernt. Dennoch ist auch unser jetziger Trainer Per Carlen genau der richtige Mann zur richtigen Zeit. Er hat andere Fähigkeiten, die wir jetzt brauchen.

Trotzdem wurden die Ziele zu Saisonbeginn zurückgesteckt. Angeblich wäret ihr mit Platz fünf hinter den finanzkräftigeren Clubs aus Kiel, Hamburg, Mannheim und Lemgo zufrieden gewesen. Nun habt ihr in den letzten beiden Saisonspielen die Chance, Platz drei und die Champions League zu erreichen. Wie kommt das?

Es gab natürlich viele Schwierigkeiten. Stars sind weggegangen, Michael Knudsen hat sich früh verletzt und die finanzielle Krise hat für Unruhe gesorgt. Wir sind dann noch enger zusammengerückt und haben abgemacht, dass wir miteinander und füreinander kämpfen. Wir nehmen jedes Spiel wie ein Endspiel, auch gegen vermeintlich schwächere Gegner. Alle spielen über ihrem eigentlichen Niveau, weil wir zusammenhalten und es sozial wirklich gut haben.

Das Soziale ging ja so weit, dass die Mannschaft sogar Gehaltseinbußen in Kauf genommen hat, um dem Verein in der finanziellen Krise zu helfen. Waren sich die Spieler da einig?

Das war ja eine Frage von Überleben oder nicht Überleben für den Club. Wir waren uns einig, alles dafür zu tun, den Verein zu retten. Um unser eigenes Leben als Handballer zu retten. Das hat uns als Team noch stärker zusammengebracht. Wir geben auch alles für die Stadt Flensburg, die man sich ohne Handball nicht vorstellen kann. In der Krise sind die Zuschauer, die Sponsoren und der ganze Verein wieder eine Einheit geworden.

Für diese Einheit spielst Du eine wichtige Rolle, seit einem halben Jahr auch als Kapitän der Mannschaft. Da entsteht doch eine riesige Lücke, wenn Du gehst.

Ich wollte nie Kapitän sein. Eher ein unsichtbarer Leader. Dann habe ich die Aufgabe für mein letztes halbes Jahr doch übernommen, aber gleich gesagt, dass ich mich nicht ändere. Wenn ich gehe, werden andere aus dem Schatten treten und Verantwortung übernehmen.

Du hast deinen Abschied aus Flensburg schon länger angekündigt. Jetzt ist der Erfolg wieder da und du bist Kapitän. Gerät der Entschluss manchmal ins Wanken?

Nein, ich habe mir immer geschworen, auf einem hohen Level aufzuhören. Lieber dann, wenn der Verein mich noch haben will. Das Bauchgefühl sagt mir, dass es Zeit ist, jetzt hier aufzuhören. Ich möchte mehr Zeit für meine Familie haben und habe keine Lust mehr, drei Tage in der Woche für 60 Minuten Spieldauer unterwegs zu sein. Ich werde in Dänemark noch drei Jahre Vollgas geben, da sind die Reisen seltener und kürzer.

Am vergangenen Wochenende hat die dänische Minderheit ihr Jahresfest gefeiert. Bist du der Minderheit verbunden?

Nein, ich sehe mich zu hundert Prozent als Däne. Das Einzige, was mich stört, ist, dass wir nicht wählen dürfen und mitbestimmen, wer regiert. Aber ich habe viel von Deutschland gelernt.

Du hast gesagt, dass Ehrlichkeit besonders wichtig für dich ist. Verliert man da bei den ganzen Korruptionsverdächtigungen wie gegen den THW Kiel nicht die Lust an diesem Sport?

Ganz ehrlich: Nein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Super-Mannschaft wie Kiel das nötig hat. Die waren immer sportlich fair. Bevor nicht klar ist, was wirklich passiert ist, kommentiere ich das nicht. Auch da habe ich keine Vorurteile.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • J
    Jan

    Danke für die vielen tollen Jahre!!!